Kunstentwicklung — Architektur 5
der Mittelachse und des Gegenüber, für Ostasien charakteristisch wird. Wenn auf
Arbeiten aus dem 6. bis 8. Jahrhundert dieses Gegenüber wieder beliebt wurde,
so ist ein persischer und dadurch wieder ein indirekt mykenischer neuer west-
licher Einfluß anzunehmen.
Von der frühen Architektur Chinas wissen wir nichts als die oben zitierten
Berichte (8. 18). Alle bestehenden Tempel und Paläste, Stadtmauern und Wälle
sind verhältnismäßig modern, aber dennoch ist anzunehmen, daß in der Anordnung
des Grundrisses, in der Verteilung der Bauten und bei gewissen Techniken alte Tra-
ditionen unbewußt mitwirken. Durch die Ausgrabungen in Mykenä, Knossos u. s. w.
lernen wir großzügige, weitläufige Paläste kennen, die in dem kleinen Bauernreiche
China kein Gleichnis erhalten konnten. Aber die Technik des steinernen Fundamentes
mit minderwertigem Oberbau aus an der Sonne getrockneten Lehmziegeln und einem
hölzernen Fachwerk dürfte wohl auch in China Eingang gefunden haben, denn alle
späteren Holzbauten sind stets auf einem steinernen Sockel errichtet. Ferner ist
bei beiden Stilen die weitläufige, stets rechteckige Anlage mit dem Palast oder Tempel
in der Mitte, meist in der Mittelachse, während die übrigen Gebäude in dem umzäunten
Außenhofe frei gelagert sind, charakteristisch. Diese Anordnung können wir in
China nicht mehr so deutlich erkennen, wie bei den ältesten, unter chinesischem
Einfluß errichteten Tempeln in Japan. !)
In der assyrischen Königsburg und gleichfalls in der römischen und arabischen
Architektur ist stets der Hof der Mittelpunkt, um den sich die anderen Gebäude
abschließend herumlagern. Dagegen wird die mykenische Bauart wie folgt charakteri-
siert:?2) ‚An der Wohnstätte war der große Hof die Hauptsache. Von ihm um-
schlossen und seinem Eingangstor gerade gegenüber lag die Hütte, später das
Haus, der Palast. Wir haben es also hier mit einem ausgesprochenen Außenhofe zu
tun, einem großen, umhegten Raum.‘ Dieser Grundriß ist für die alte japanische
Tempelanlage und noch heute für die chinesischen Stadtanlagen mit ihren kaiserlichen
Stadtpalästen maßgebend, während die köstlichen Jagd- und Sommerpaläste auf
dem Lande nach anderen Gesetzen, die wir bei Erörterung der Hanzeit kennen
lernen werden, gebaut sind. Ist aber die zuerst von Huangti angewendete Palast-
und Tempelarchitektur von der mykenischen Sitte beeinflußt, dann werden auch
der dreifache Türeingang und die breiten Treppenaufgänge zu dem steinernen
Unterbau Reste dieser ältesten Bauart sein.
In den Ländern des mykenischen Kulturkreises und ebenso in China baute
man für die Lebenden nur vergängliche Bauten, aber den Toten baute man Woh-
nungen für die Ewigkeit. „Dies muß eine Grundanschauung des 2. Jahrtausends
gewesen sein, nicht nur in Griechenland, sondern in ganz Europa bis nach Skandi-
navien. Stolze Grabbauten stehen vom Süden bis nach dem Norden unversehrt;
die Wohnungen der Lebenden sind vertilgt.“ „Nichts zeigt besser die Einheit der
europäischen Kultur als diese Baudenkmäler... .‘“ Wir können hinzufügen, daß auch
Ostasien in diesen einheitlichen Kulturkreis einzureihen ist.
Die Hauptzüge bei den Grabbauten in der Umgegend von Mykenä sind: der
lange Gang, der zur Kammer führt, die Festigkeit und Unvergänglichkeit der ganzen
Anlage, ob sie in Felsen eingehauen oder aus Steinblöcken errichtet ist, ferner eine
reichliche Ausstattung der Toten für das Leben im Jenseits. Für gewöhnlich war
das Grab geschlossen, indem man den Eingang mit aufgestapelten Steinen verdeckte
oder den Gang mit Erde zuwarf.
Derartige Grabbauten unter mächtigen Erdhügeln sind ım Plan des Baues,
in der Art der Anlage, in der Technik der behauenen und nur durch Lehm als
1) Abbildung in Münsterberg, Japanische Kunstgeschichte, Bd. II, Fig. 9.
2) v. Lichtenberg, Die Jonische Säule, 8. 10.