60 Hanzeit — Mittelasiatischer Mischstil
Die Reistürme sind fast stets glatt, und wenn vereinzelt Verzierungen vor-
kommen, so dürften es Stücke aus späterer Zeit sein. Wenn wir den Dach-
deckel wegnehmen, so erhalten wir jene runde Zylinderform, die noch heutiges-
tags eine charakteristische Grundform chinesischer Vasen ist. Aus ihr sind auch
die zahlreichen, niedrigen Zylindergefäße entstanden, die meist mit flachem
(Abb. 48) oder einem „Berg“'deckel (Abb. 47) versehen sind. Hohe Bergspitzen
genossen seit alters her die höchste Verehrung (s. $. 23), und ihre symbolische
Darstellung an Gefäßen des Totenkults ist daher leicht verständlich. Im Gegen-
satz zu den der Natur nachgeformten, glatten Speicherurnen finden wir an den
„Berg“urnen und an hohen Vasen (Abb. 53, 54) reiche Reliefverzierungen. An
den Vasen sind sehr häufig Griffverzierungen in Gestalt von Tierköpfen, mit
Ringen im Maul (Abb. 53—57) angebracht, die gar keinen praktischen Zweck
haben, aber an denen wir die gedankenlose Nachahmung von Bronzevasen erkennen
können. Auch die hohen, schlanken Vasenformen, sowie die Reliefs sind aus der
Bronzetechnik in das Tonmaterial übertragen.
Laufer hat verschiedene Urnenflächen abgeformt und dann in Gips aus-
gegossen, so daß wir die abgerollten Verzierungsstreifen im einzelnen studieren
können. Waren auf den Steinreliefs die Zeitgenossen der Künstler in realistischer
Beobachtung wiedergegeben und auf den Spiegeln das Pfanzenornament besonders
betont, so finden wir hier das Berg- und Wellenornament als verbindendes Leitmotiv
angewendet und dazwischen phantastische Tiger- und Drachengestalten, Vögel,
Schlangen und Affen, sowie lebendige Jagdszenen mit Hirschen, Ebern und
Hunden, gehetzt vom Bogenschützen zu Pferde (Abb. 47, 52, 55). Die Dar-
stellung des Menschen fehlt völlig auf den Bronzevasen der älteren Zeit sowie
auf den Spiegeln; es ist die typische Verzierungsart der Tongefäße aus der Hanzeit.
Da das Bogenschießen vom Pferde erst etwa um 307 v. Chr. unter Wuling
(s. 8. 35) angenommen wurde, so können auch derartige Darstellungen nicht
früher entstanden sein. Das würde auch insofern zusammenstimmen, als die
chinesische Literatur die Menschendarstellung in der Malerei (s. $. 80 u.fl.) zum ersten
Male im 4. Jahrhundert v. Chr. erwähnt.') Die typische Darstellung des Reiters
1) Laufer (Chinese pottery of the Han Dynasty, S. 150) glaubt, dals Bushell (Chinese
art I, 89) unrecht hat mit der Annahme, daß menschliche Figuren niemals auf den
primitiven Bronzen erscheinen, und bildet als Gegenbeweis ein einziges Bronzestück
(S. 151, Fig. 36) aus dem Hsi ch’ing ku chien ab. Zunächst ist die Form des Gefäßes
so elegant und die Ausführung so reich, daß die Herstellung zur Chouzeit recht fraglich
erscheint, um so mehr, da unter den vielen hundert Abbildungen von Choustücken
nichts Ähnliches vorkommt. Dann aber gilt hier wie bei den meisten übrigen Stücken,
daß die verhältnismäßig moderne Zeichnung zur Sungzeit in Konturlinien alles viel deut-
licher und klarer darstellt, als das Bronzeoriginal im Guß jemals erkennen ließ. Es ist
sogar anzunehmen, daß diese zur Zeit der Zeichnung bereits Jahrtausende alten Stücke
stark verwittert und die meisten Gestalten nur noch andeutungsweise erkennbar waren;
so daß die einzelnen Tierfiguren mehr Phantasiegestalten des Zeichners als Originale des
Gießers sein dürften. Bestärkt werde ich in dieser Hinsicht durch Vergleiche der ein-
zelnen Figuren, die in der Ausführung durchaus nicht einen einheitlichen Stil zeigen.
Der Erfinder des Reliefs hatte sicher alle Tiere realistisch oder stilisiert wiedergegeben,
aber die Zeichnung ist bald so, bald so, offenbar je nachdem der Sungzeichner die ein-
zelnen Stellen des Gusses enträtseln konnte. Und diese bereits umkonstruierten Gebilde
verlangen noch überdies eine etwas gezwungene Erklärung, um an einzelnen Stellen
Menschen zu deuten, während es ebensogut Bären oder Affen sein können, Ich kann
daher Laufer nicht beistimmen. Bisher ist kein durchereifender Beweis erbracht, nicht
einmal ein Anhalt gefunden, daß etwa vor dem 4. Jahrhundert Menschenfiguren dar-
gestellt sind. Auch lassen die Ausführungen der Kunstwerke aus älterer Zeit eine
derartige Darstellung sehr unwahrscheinlich erscheinen.