Allgemeines
Stein, Bronze und Ton haben für den Ostasiaten eine höhere Bedeu-
tung als die eines beliebigen Materials zur Herstellung von Gebrauchsgegen-
ständen.
Wir Europäer sind durch die Entwicklung der Techniken und Industrien ge-
wohnt, zu fragen, ob ein Gegenstand des täglichen Gebrauches bei einer gefälligen
Form vor allem praktisch, dauerhaft und billig ist. Das Schönheitsideal in Europa
gestaltete im Laufe der Jahrhunderte immer neue Formen und bewirkt noch heute
einen ewigen Fluß der Veränderung. Regierungsformen und Staatengebilde, Gesetze
und Ideale sind die Völker des Abendlandes stets zu wechseln bereit, sobald sie das
Alte als unpraktisch und das Neue als besser erkannt haben. Um wieviel leichter
wechseln sie ihre Sitten und gar ihre Geräte und ihren Zierat! Aus der ganzen
Welt holen wir Europäer fremde Natur- und Rohprodukte zusammen, in fieberhafter
Tätigkeit erspähen wir jede Möglichkeit, das Alte durch Neues, nach unserer Über-
zeugung Besseres, zu ersetzen. Wir haben keine Pietät für die Tradition; der
Fortschritt ist unser Ideal.
Diese Auffassung müssen wir ganz beiseite lassen, um dem ostasiatischen Kunst-
gewerbe gerecht zu werden. Dort ist Tradition alles. Eine Veränderung, selbst
wenn sie einen technischen Fortschritt bedeuten sollte, lehnt man prinzipiell ab,
sobald alte, von den Ahnen geschätzte Vorbilder vorhanden sind. Selbstverständlich
wird für Dampfschiffe und Eisenbahnen, Bergwerke und Gewehrfabriken das Neue
in neuer Form und Technik anerkannt, da sie bisher noch nicht dagewesen waren.
Aber warum das Steinsiegel, die Bronzeurne oder die Porzellanschale ändern?
Wird etwas Schöneres oder Dauerhafteres geschaffen? Sicher nicht! Vielleicht ist das
neue Material billiger, aber dafür auch um so viel unschöner oder unsolider und vor
allem um so viel unfeiner. In China ist jedes Streben, einen Fortschritt für die Dinge
zu bringen, die einmal vor Zeiten eingeführt und im Lauf der Zeit technisch zur Voll-
endung gebracht sind, in &ewissem Sinne unbekannt. Ob der neue Geist hierin viel
ändern wird, bleibt abzuwarten.
In Europa ist die Ansicht verbreitet, daß die Chinesen eine ungeheure Literatur
besitzen. Wenn wir aber bedenken, daß noch heute die philosophischen Schriften
und Gedichtbücher aus einer Zeit: von Jahrhunderten vor Christi und die religiösen
Schriften von vor zwei Jahrtausenden die Grundlage des Wissens, besonders
bis vor kurzem für die Staatsexamina bildeten und somit zur Literatur, die
jeder Gebildete kennen muß, gehören, so müssen wir uns wundern, daß der
Umfang der Literatur für ein Reich von der gewaltigen Ausdehnung und für ein
Völkergemisch ähnlich der Bevölkerung Europas so gering ist. Europa in seiner
Gesamtheit produziert heute in fünf bis zehn Jahren vielleicht mehr Bücher, wie
China in tausend Jahren erzeugt hat.
Es hängt das mit dem zähen Festhalten an der philosophischen und reli-
giösen Tradition zusammen, welche wiederum alle anderen Gebiete wie Volkswirt-