Allgemeines 95
Wir müssen daran festhalten, daß im Gegensatz zu dem ewigen Wechsel der
europäischen Moden in China in symbolischer Bedeutung Material,
Form und Verzierung für bestimmte Gegenstände der
alten Tradition stets beibehalten blieben. Dieses Gesetz hat in
der Praxis in verschiedenster Weise gewirkt.
Der Motivenschatz blieb begrenzt. Daher ist im Laufe der Jahr-
hunderte eine Durcharbeitung und Vielheit der Variationen in Formen und
Verzierungen innerhalb der begrenzten Zahl von Vorbildern durch viele tausend
geschulte Augen und geschickte Hände durchgeführt, wie wir sie in Europa
nicht kennen. Und nicht nur das Auge des Handwerkers, sondern ebenso
das des Käufers ist durch diese Tradition geübt. Allerdings ist zu gewissen
Zeiten eine Verschlechterung der Vorlagen zu erkennen. Nicht mit groben
Effekten der Modeschnörkel, sondern durch raffiniert geschulte Empfindungen
für die Feinheit der Linien und Farben wird eine Vollendung auch in? der
einfachen glatten Form erreicht, die z. B. griechische Vasen häufig über-
trifit.
Die Konzentration auf die wenigen Materialien und Formen scheint das Auge
des Chinesen — und nicht nur das des Kenners, sondern auch das des Privatmannes —
so geschult zu haben, daß er Unterschiede z.B. in der Patina der Bronze
oder an der Außenlinie der Form wahrnimmt, die unser an Wechsel und Prunk
gewöhntes Auge kaum begreifen kann. So wird das Interesse nicht darauf gelenkt,
mit Phantasie neue Wirkungen zu erzielen, sondern die Überlieferung durch feine,
kaum wahrnehmbare Nuancen immer wieder zu adeln oder in Zeiten, in denen
dieses künstlerische Gefühl den Schaffenden fehlt, die alten Kunstschätze zu
sammeln und als Meisterwerke von. höchstem Ruhme zu schätzen und nach-
zuempfinden.
Wir dürfen bei chinesischen Werken eines guten Kuünstgewerbes nicht neue
Ideen, nicht geistreiche Einfälle, nicht kostbare Materialien erwarten, dagegen eine
vollendete Ausführung in Material und Technik. Arbeiten in J ade, in glasiertem
Ton oder in Bronze, die unserem Auge kaum eine Variation zeigen, können durch
den Schliff der Politur, das Lüster der Glasur, oder die Patina des Metalles dem
Chinesen von größtem Unterschiede sein.
Diese Nuancenunterschiede lassen sich im Bilde nicht zeigen und auch
bei den Originalen nur von geschulten Augen erkennen. Wir müssen
daher an dieser Stelle von dem, was die Qualität der Arbeit
am wesentlichsten ausmacht, völlig absehen und uns auf die
Beurteilung nach dem Stil in Form und Verzierung be-
schränken.
Aus dem Gesagten ist ersichtlich, daß sich für gewisse Arten, besonders für
Kultgefäße, eine Tradition für Form und Dekor feststellen läßt und anderseits
eine historische Entwicklung in der Ausführung. Dagegen kann man das
Alter der einzelnen Stücke selbst nur mit größter Vorsicht vermuten, da
stets Wiederholungen und Nachbildungen, aus Freude an der Schönheit des
Originals, oft in vollendeter Arbeit hergestellt wurden. Der Stil ist historisch
interessant; aber maßgebend für die Wertschätzung des einzelnen Gegenstandes
ist ausschließlich die Qualität des Materials und der Arbeit, ohne Rücksicht auf
das Alter der Herstellung. Die Ordnung einer Sammlung von Stein- und Ton-
arbeiten und Bronzen ist nicht immer nach der Zeit ihrer Darstellung, wohl
aber nach den Stilen durchführbar.
Es empfahl sich daher, die verschiedenen Formen der gleichen Typen neben-
einander zu stellen und zu versuchen, innerhalb jedes Typus eine Entwicklung zu
zeigen. Hierdurch wurde die Anordnung des Stoffes nach den Materialien und dann