98 Bronze — Allgemeines
erbeuteten Waffen gewaltige Bronzefiguren (Bd. I, 8. 68) gegossen wurden, aber in
sorgenvollen Zeiten sind sie wieder eingeschmolzen, wie all die übrigen Menschen
und Tiergestalten, Phönixe und Architekturteile.
Je weniger Originalstücke erhalten blieben, desto stärker war in den späteren
Zeiten bei den gebildeten Kreisen Chinas der Eifer, Sammlungen anzulegen. Auf
den Steinreliefs der ersten Jahrhunderte nach Christus lernten wir die wiederholte
Darstellung (Bd. I, Abb. 2, 3) des Auffischens von Bronzekesseln kennen, die in
Zeiten der Gefahr in den Flüssen versenkt waren. Keine Goldarbeiten und Edel-
steine machten damals die Schätze der Kaiser und ihrer Großen aus, sondern diese
schweren, unförmlichen Bronzeurnen, die, durch Alter und Ornamentik besonders
geweiht, sowohl ein Kapital an Material als auch einen Schatz einer vielleicht nur
von Wenigen als Geheimnis geübten Kunst darstellten.
Es entstand eine Tradition für Form und Verzierung, die noch heute in An-
wendung ist. In tausendfacher Variation wurden mit den wenigen Grundelementen
immer wieder neue Ausgestaltungen ersonnen. Da der Guß nicht in gepreßten Formen
mechanisch wiederholt wurde, sondern für jedes Stück die verlorene Form als Guß-
original von neuem ziseliert werden mußte, so entstand eine unübersehbare Viel-
seitigkeit der Ausführung je nach Geschmack, Laune und Können, so daß die Fest-
stellung einer Stilentwicklung zwar möglich ist, aber bei sorgfältiger Kopie der alten
Originale die Einreihung des einzelnen Stückes oder irgend eine sichere Datierung
für jedes einzelne Stück bei dem heutigen Stande unserer Kenntnisse nur sehr selten
erfolgen kann.
Neben dieser Wertschätzung als Antiquität wurde die Bedeutung gesteigert
durch eine weitere, für unsere Begriffe sehr eigentümliche Verwendung der Schalen
und Urnen. Die Erfahrung hatte gelehrt, daß die Steintafeln im Felde sowie die
Bauten der Stadt zerfielen oder zerstört wurden, und daß die Holztafeln in Häusern
und Tempeln, selbst wenn das Feuer sie verschonte, keine lange Dauer hatten: die
einzigen Materialien, die sich jahrtausendelang erhielten, leicht zu vergraben oder
in Flüsse zu versenken waren und selbst dem Feuer widerstanden, waren die Bronze-
gefäße. So entstand die Sitte, zur Erinnerung an wichtige Familienereignisse be-
deutungsvolle Inschriften auf Bronzegefäße zu gravieren und im Ahnentempel auf-
zustellen als Vorbild und Mahnung für Kinder und Enkel. Diese Stücke erlangten
in den Familien den Wert von Urkunden und wurden zugleich Quellendokumente für
die seit altersher gepflegte Geschichtsforschung und ganz besonders für das Studium
der alten Schriften. Aus den Inschriften, die oft den damaligen Forschern nicht richtig
lesbar waren, wurde die Wissenschaft der Schriftentwicklung begründet. Abreibungen
von alten Schriftverzierungen sind seit Jahrhunderten eifrig gesammelt. Im British
Museum sind einige sehr interessante Bronzen mit teilweise sehr langer Inschrift.!)
Viele Inschriften werden nach dem Duktus der Schriftzeichen oder nach den,
infolge der Nennung von Namen historischer Persönlichkeiten, ausgerechneten
Datierungen der Zeit der Choudynastie (1122—249 v. Chr.) von den chinesischen
Archäologen zugeschrieben und eine kleinere Anzahl kurzer Texte mit archaischen
Bildzeichen der Shangdynastie (1766—1122 v.Chr.). Diese Zeitbestimmungen mögen
für den Duktus der Schrift richtig sein, aber sobald einmal eine mechanisch her-
gestellte Abreibung auf Papier von einer alten Inschrift vorlag, war es ein leichtes,
Nachahmungen auszuführen, so daß auch die Inschrift keinen absoluten Beweis
der Echtheit eines bestimmten Stückes erbringen kann.
Anders steht es natürlich um die Stücke, die aus Flüssen gefischt oder aus
der Erde gegraben wurden. Schon aus dem 1. Jahrhundert wird uns von derartigen
1) Bushell, Chinese art, Bd. I, Fig. 49, 50. Offene Schale. Englische Übersetzung
der Inschrift, S. 85, 86, macht 69 Zeilen aus.
Ess