104 Bronze — Allgemeines
wirklichen Ausführung gegeben werden kann. In einem buddhistischen Kloster auf der
von Europäern genannten „‚S ilberinsel‘“ (Chiao Shan — Berg Chiao, benannt nach
einem Einsiedler aus der Zeit der drei Reiche, 221—265) im Yangtsefluß wird ein
Bronzekessel bewahrt, der durch die Schönheit seiner Ausführung und durch eine alt-
ehrwürdige Inschrift berühmt ist. Im Kinshiso ist in der chinesischen Konturmanier
dieses Stück abgebildet (Abb. 149) und zwar betont der Verfasser, daß er sich 1813
ausdrücklich nach der Silberinsel begeben habe, um die berühmte Bronze zu sehen.
Er schildert weiter, wie er von der archaischen Schönheit entzückt gewesen sei und
für sein Buch von der Inschrift eine Abreibung vom Original genommen habe; die
Zeichnung des Gefäßes hat er vielleicht
a erst aus der Erinnerung gemacht.?)
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Abb. 149 Chinesische Zeichnung des Opfergefäßes
aus Kinshiso (Sammlung von Inschriften auf Metall
und Stein), gedruckt 1821
(Aus: Bushell, Chinese art, Bd. D)
Abb.150 Opfergefäß (Ting), aufdrei Füßen mit Henkel
auf Rand, genannt „Wutshuan ting*. Lineare und
Sehuppenornamente in Relief, Bronze, im buddhis-
tischen Tempel auf der Silberinsel bei Chinkiang am
Yangtsekiang. Originalaufnahme von Frd. Hirth 1892,
1,32 Fuß hoch, 1,58 Fuß breit, längere Inschrift ohne
Datum, zugeschrieben nach astronomischen Berech-
nungen und Stil der Inschrift: 812 v. Chr.
(Aus: T’oung-pao, Vol. III, S. 487, auch bei Reinecke,
Über einige Beziehungen der Altertümer Chinas
Zeitschrift f. Ethnologie 1897, Heft 5, S. 148)
Hirth hat sich der verdienstvollen
Mühe unterzogen, an Ort und Stelle
das Origmalstück zu photographieren
(Abb. 150). Welcher Unterschied! Kein
Kunsthistoriker würde wohl auf Grund der Zeichnung das Original wieder erkennen.
Zunächst die ganze Form ist völlig anders. Das Original ist monumental und groß-
zügig; die Füße tragen kräftig die am Boden kaum gewölbte, fast flache Urne und die
Henkel stehen am Rande über und sind massig breit. Dagegen zeigt die Zeichnung,
ganz dem Geschmack modernerer Zeit entsprechend, alles gerundet. Die doppelt
sebuchteten Füße sind wie ein loses Gestell unter den Kessel gesetzt, damit er nicht
schwankt. Die Henkel sind auf den Rand aufgesetzt, so daß sie nicht dicker als
die Wandung sein können und durchbrechen müßten. Und gar die Ornamentik!
Das großzügige, antike Linearornament der Bronze ist im der Abbildung ein
kleinliches, unruhiges Durcheinander von zusammengestoppelten Einzelmotiven.
Das kräftige Schindelmuster ist zu spielerischen Drahtspiralen geworden und
ebenso das antike Fußdekor zu einem gerundeten Linienornament. Das Original
1) Eine bessere, aber ebenfalls nicht genaue Abbildung in Shenchoukuo Kuangtsi
(Zeitschrift für chinesische Kunst und Archäologie), Shanghai 1909, Bd. II, Heft 2.