Zeitbestimmung — Nachguß 105
wird man in seiner ernsten, ruhigen, einheitlichen Ausdrucksform als ein Meisterwerk
antiker Kunst ansprechen müssen, aber in der Zeichnung des Kataloges ist alles
unruhig, kleinlich und unorganisch. Dieses ist der einzige Fall, wo eine Nach-
prüfung möglich war, da sich sonst von den alten Sammlungen nichts mehr an
seiner früheren Stelle befindet. Wir müssen dem unermüdlichen Chinaforscher Hirth
ganz besonders dankbar sein, daß er diesen Vergleich ermöglicht und dadurch eine
neue Basis für die Beurteilung der chinesischen Abbildungen gegeben hat.
Hieraus ergibt sieh: die Quelle des Kaiserlieh eu K.-
taloge, besondersinden Originaldrucken, gibt eine gute
Übersicht der Vielseitigkeit der Formen und Ornamente,
aber gar keinen Anhalt für die Ausführung in bezug auf
Zerestilemwd Technik Die Datierung einzelner Stücke
nach Ähnlichkeiten in EBorm oder Ola. ı 5.5 den
chinesischen Abbildungen, ohne weitere Prüufung..der
ausschlaggebenden Hinzelheiten, ist völlig unsachgemäß.
Dazu kommt, daß nichts leichter ist, als einzelne Bronzearbeiten nachzu-
formen. Wie jeder Falschmünzer sich eine Form von einem Originalgeldstück
herstellen und dann tadellose Abgüsse erzielen kann, so ist auch nichts leichter, als
zum Beispiel einen Reliefspiegel im Sand abzudrücken und in der so entstandenen Guß-
form neue Abgüsse zu machen. Nur so erscheint es mir erklärlich, daß viele hundert,
oft prächtig modellierte Traubenspiegel in letzter Zeit auf den Markt gekommen
sind, nachdem durch die bekannte Arbeit von Hirth!) für solche Traubenspiegel
Interesse erweckt worden war. Freie Nachbildungen könnten wohl kaum so vorzüg-
lich ausgeführt worden sein. Allerdings werden auch manche echte Stücke dabei
sein, denn es sind immer große Quantitäten hergestellt und vom Kaiser verschenkt
worden. So wurden z. B. 238 den Gesandten eines kleinen Staates in J apan unter
anderem auch 100 Bronzespiegel verehrt, und desgleichen werden aus dem Jahre 240
weitere Spiegelgeschenke erwähnt. Aber in Japan selbst sind diese alten Spiegel
nicht nachweisbar, und prächtige Stücke sind erst aus der Tangzeit erhalten.
Schließlich entsteht die Frage, ob die Chinesen des 12. Jahrhunderts wirklich
so große Archäologen und Kunsthistoriker waren, daß die im Pokutulu angegebenen
Datierungen, die bis 3000 Jahre zurückgehen, als absolut richtig anzunehmen sind.
Wie die Traditionen auch in China trügen, dafür führte ich als Beispiel (Bd. I, 8. 114)
den Fall mit der Tafel des Kaisers Yü an, die angeblich aus dem Jahre 2293 v. Chr.
stammen sollte. Hier handelte es sich sogar um einen Stein, der ganz offen auf einem
Berge stand und von jedem besichtigt werden konnte. Im allgemeinen ist es für die
chinesische Literatur charakteristisch, daß einer vom anderen ohne Prüfung abschreibt.
Die Inschriften mögen eher zuverlässig sein, aber für die reiche Ornamentik fehlt
jeder unanfechtbare Nachweis. Die japanischen Traditionen basieren auf den
chinesischen Angaben und sind noch zweifelhafter. Wenn es sich um Stücke handelt,
deren Existenz aus alten Gräbern oder z. B. im kaiserlichen Schatzhause zu Nara
historisch nachweisbar sind, so ist ihre Herstellung aus einer etwas früheren Zeit
allerdings unzweifelhaft.
Hörschelmann?) hat in sinnvoller Weise die einzelnen Ornamentteile aus dem
Pokutulu herausgezogen, tabellarisch zusammengestellt und so eine Entwicklungs-
reihe vom einfachen Linearmuster bis zum komplizierten Tiermuster erhalten, die
mit der Datierung der Chinesen ungefähr übereinstimmt. Aber er übersicht, daß
!) Friedr. Hirth, Über fremde Einflüsse in der chinesischen Kunst, 1896.
?) Hörschelmann, Die Entwicklung der altchinesischen Ornamentik, Leipzig 1907. —
Vergl. Münsterberg, Japanische Kunstgeschichte. Bd. III, $. 279. — Muth, Stilprinzipien
der primitiven Tierornamentik bei Chinesen und Germanen, Beiträge zur Kultur- und
Universalgeschichte von Lamprecht, Heft 15, Leipzig, 1911.