Full text: Die Baukunst. Das Kunstgewerbe: Bronze, Töpferei, Steinarbeiten, Buch- und Kunstdruck, Stoffe, Lack- und Holzarbeiten, Glas, Glasschmelzen, Horn, Schildpatt, Bernstein und Elfenbein (Band 2)

Ornamentik — Inschriften 107 
Minister angenommen. Schließlich hat ein moderner Professor der Mathematik zu 
Peking, Li Shenlan, ausgerechnet, daß unter Kaiser Hsüan Wang der Tag nach 
Vollmond im neunten Monat mit dem Datum des 60tägigen Zyklus Chia-hsü im 
Jahre 812 v. Chr. zusammenfällt. Und auf diesem doch wirklich etwas umständ- 
lichen und unsicheren Wege ist das recht zweifelhafte Datum ermittelt! Wenn aber 
die Zeitannahme für den Duktus der Schrift falsch ist, so kann ein ganz anderer 
Zyklustag gemeint sein. Also auch das Material der Inschriften gibt nur ganz 
unzuverlässige Anhaltspunkte. 
Wie steht es aber überhaupt mit dem Nachweis der Echtheit dieses in der 
Literatur und den Gelehrtenkreisen Chinas so gefeierten Bronzekessels? Von Japan 
sind wir gewöhnt, bei Tempelbesitz fast stets eine lückenlose Überlieferung nach- 
gewiesen zu erhalten, aber in China sind auch die Tempel von feindlichen Plünde- 
rungen nicht verschont geblieben. Eine moderne Inschrift besagt, daß das Gefäß 
ursprünglich in der Sammlung des Mitbürgers Wei war, bis der Staatsminister Yen 
Sung, während seiner Mißwirtschaft im Reich, den Wei verfolgte, weil er den Dreifuß 
nicht abgeben wollte. Nach dem Tode von Yen Sung, im Jahre 1565, fürchtete 
Wei, daß seine Nachkommen nicht in der Lage sein würden, den Besitz der Bronze 
zu schützen und deshalb schenkte er ihn dem Tempel. Also auch hier geht der 
historische Nachweis nicht weiter als auf etwa 400 Jahre. 
Sind somit die historischen Beweise auch ungenügend, so bleibt uns nur mit 
Sicherheit der Stil der Form, Ornamentik und Technik, sowie der Charakter der 
Inschrift und die Erhaltung mit ihrer Patina zur Beurteilung übrig. Es unterliegt 
keinem Zweifel, daß die Bronze der Silberinsel eine echte, antike Arbeit von 
hervorragender Schönheit ist, aber wir haben keinen anderen Beweis als — eine 
ästhetische stilkritische Würdigung des heutigen Aussehens, 
Eine genaue Datierung jedes einzelnen Stückes, auch nur auf Jahrhunderte, 
erscheint unmöglich. Aber wir können so viel erkennen, daß die großzügige, ernste 
Form mit dem kräftigen und flachen Relief in ihrer einfachen, eben archaischen Art 
durchaus einem Stile entsprechen kann, der in der Zeit vor Han geherrscht hat. In 
der Hanzeit kommen neben einer Weiterentwicklung des alten Stiles die reicheren 
Formen mit Menschen und Pflanzen auf (Bd. I, Abb. 25—57), und in der Tangzeit 
feiert die zierliche und elegante Ausführung der Einzelheiten ihre Blüte. 
Als Beispiel des primitiven Stiles möchte ich auf die berühmte Sammlung von 
zehn Bronzegefäßen (Abb. 151) hinweisen, die in einem der heiligsten Tempel des 
Reiches, im Konfuziustempel zu Küfu am Geburtsplatz des Weisen, in der Provinz 
Shantung sich befindet. Auch hier handelt es sich nicht um alten ererbten Besitz, 
sondern um ein Geschenk des Kaisers Kienlung aus dem Jahre 1771. Aber der 
Kaiser hat dieses Geschenk für wichtig genug gehalten, um es mit einer Ode zu be- 
gleiten. Im Kinshiso (1821) ist sowohl das Gedicht abgedruckt wie eine Beschreibung 
der Gefäße gegeben. Chavannes verdanken wir die Bekanntgabe einer photo- 
graphischen Aufnahme dieser Schätze, die wie durch ein Wunder die letzten kriege- 
rischen Jahrzehnte überlebt haben. Kienlung betont, daß er diese Bronzen aus seiner 
Sammlung im Palast ausgewählt habe, weil sie alle zur Zeit der Choudynastie, als 
Konfuzius lebte, entstanden sind, so daß kein Stück weniger als 2000 Jahre alt sei. 
Auch hier ist kein historischer Beweis für die Echtheit erbracht, aber die 
Stücke sind von den besten Kennern damaliger Zeit ausgewählt, vom Kaiser ge- 
sammelt, und entstammen einer Zeit, als das Fälschen noch keine so geschäftsmäßig 
betriebene Industrie war wie in den letzten Jahrzehnten. Also auf jeden Fall ist 
die Vermutung sehr wahrscheinlich, daß die Stücke echte Originale der Vorhanzeit 
sind. Unserem Empfinden nach erscheint es sehr merkwürdig, daß die modernen ge- 
schnitzten Untergestelle und Holzdeckel mit zierlichen Jadegriffen hinzugefügt sind. 
Diese kleinlichen Beigaben stören die großzügige Wirkung der Gußform und zeigen, 
 
	        
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