Kriegführung — Schachspiel 101
Der Sieg im Kriege wurde durch die Leitung des Generals, nicht durch die
Tapferkeit Einzelner errungen. Deshalb war es auch folgerichtig, daß der siegreiche
Feldherr allen Ruhm erntete, aber der unterliegende häufig Selbstmord ausübte, um
der Strafe seines Herrn zu entgehen. Von den Kaisern sind nur einzelne besonders
tatkräftige Herrscher selbst in den Krieg gezogen; meistens siegten sie durch ihre
„Tugend“, wie die Chinesen es nennen. Die Gründer der Dynastien haben immer auf
dem Schlachtfelde ihren Thron erobert, aber die Nachfolger pflegten der Ver-
weichlichung der chinesischen Kultur zu erliegen. Nicht der rauhe Krieger, sondern
der feinsinnige Ästhet, der grübelnde Philosoph, der geschmackvolle Künstler wurden
am höchsten geschätzt. Nicht nur die Weisen, auch Staatsmänner und Feldherren
haben sich oft gegen den Krieg ausgesprochen.
Schon 494 v. Chr. riet der Feldherr Fauli seinem Könige ab, gegen die U-Völker
in den Krieg zu ziehen, und sagte:!) „Das geht nicht: dein Diener hat gehört, Waffen
sind Werkzeuge des Unheils, die kämpfenden Widersacher der Tugend; der Streit
ist das letzte der Dinge; sich verschwören zum Widersetzen gegen die Tugend, lieben
den Gebrauch der Werkzeuge des Unheils, sich versuchen in dem, was das Letzte ist,
was von Gott (Shangti) verboten ist, doch tun, das bringt keinen Nutzen.“ Da der
König doch kämpfte und unterlag, so ist diese Mahnung sicher erst nachher erfunden,
um der Moral zum Rechte zu verhelfen, aber jedenfalls zeigt die Stelle den Geist des
Altertums.
Ein anderer Schriftsteller nennt die Waffen „das Unglück des Volkes, die Holz-
würmer der Güter, die großen Wetterschäden der kleinen Reiche“. Aber diese
Theorien wurden im Streite der Massen ebenso wenig befolgt wie die Lehre der
Liebe von den Christen. Trotzdem ist diese Auffassung von maßgebendem Einfluß
bis zum heutigen Tage geblieben. Kriegführen war eine Roheit, wenn es nicht
die Verteidigung des Vaterlandes oder Bestrafung der Rebellen galt. Deshalb haben
auch die Chinesen in der nachchristlichen Zeit keine eigentlichen Eroberungszüge
ausgeführt. Die einzige Ausnahme, der Einfall in Japan, wurde unter mongolischer
Herrschaft versucht und mißlang. Im Gegensatz zu den Chinesen waren die
unkultivierten Steppenvölker Nordasiens stets sehr eroberungslustig (s. Bd. I, 8. 35).
Sie hatten nichts zu verlieren und wurden durch keine sittlichen Ideale gehindert.
Diese Ansicht brachte es mit sich, daß in den letzten Jahrhunderten eine
eigentliche Kunst der Waftentechnik nicht bestand. Während in Japan der Fürst
und Ritter seine Waffen über alles verehrte und ihre Ausschmückungen zu einer
sich leicht doppelsinnige Worte. Die Chinesen gaben ursprünglich jeder Partei für die
Offiziere besondere Bezeichnungen. So wird der Laut „Chang“ bei der einen Spielpartei
als Elefant und bei der anderen als Kanzler ausgelegt. Tsai verdanke ich die Mitteilung, daß
ein Gelehrter aus der Sungzeit bereits von Elefanten für beide Parteien spricht und hinzufügt,
daß Elefanten im Kriege nicht benutzt wurden. Allerdings im 6. Jahrhundert v. Chr.
seien im Fürstentum Zu (jetzt Provinz Hupe) Elefanten im Kriege gebraucht worden,
Dagegen haben einige Kaiser etwa seit dem 3. Jahrhundert Elefanten als Reise- und Wacht-
tiere im Palast gepflegt. Diese Verwendung ist auch aus dem Spiele zu erkennen.
Nicht darf der Elefant aggressiv den Feind attackieren, sondern er bleibt als schützende
Umgebung des Feldherrn, nur darf er sich etwas weiter als der letztere bewegen, nämlich
bis zum Grenzfluß, aber nicht über ihn hinaus.
Es ist interessant, zu beobachten, wie die heute konventionell und zufällig er-
scheinenden Zugregeln beim Schachspiel einst dem Vorbilde im Leben genau nachgebildet
waren. Es ist auch hier wie bei der darstellenden Kunst. Es wird niemals etwas Neues
ausgedacht, sondern zuerst erfolgt die Niederschrift des tatsächlich Vorhandenen, und
erst in fortgesetzter Wiederholung wird das Vorbild und seine Bedeutung vergessen, und
es entsteht die schematische Konvention,
1) Plath, Das Kriegswesen, S. 280.