Literatur — Nachahmungen — Scherben — Stil 223
Ebenso ungenau sind die chinesischen Angaben über die Produkte der ver-
schiedenen Fabrikationsgebiete. Zwar sind diese Angaben wichtig, da wir durch sie
das Aufkommen gewisser lokaler Spezialitäten in Form, Farbe, Glasur und Scherben
kennen lernen, aber irgendwelche Schlüsse aus diesen Angaben über die Entstehung
heute existierender Tonware zu ziehen, wäre ganz verfehlt. In einzelnen Fällen
läßt sich vielleicht von einem Stile eines Fabrikortes sprechen, aber ob und welche
Originalstücke erhalten sind, wissen wir nicht.
Gerade die Wertschätzung der älteren Arbeiten in China selbst führte zu tech-
nisch guten Nachahmungen in den letzten Jahrhunderten. Das Lob von Zeitgenossen
kann leicht in die Irre führen, da die Technik stets weiter entwickelt wurde und
der Kritiker nur im Verhältnis zu dem Gewesenen oder Vorhandenen, aber niemals
zu dem später vielleicht Verbesserten urteilen konnte. Allerdings ist ein Fortschritt
nicht immer notwendig, und oft haben — gerade in China — Kriege oder sonstige
Zufälligkeiten die Eigenarten, besonders die Herstellung gewisser Farben, ungünstig
beeinflußt oder ganz vernichtet, so daß in einzelnen Fällen die Wahrscheinlichkeit
für die Echtheit gewisser Stücke vorhanden ist.
Während der europäische Töpfer den Scherben als Steingut, Steinzeug,
Majolika, Fayence, Weich- und Hartporzellan usw. genau unterscheidet und jedes
Wort eine bestimmte Fabrikationsart charakterisiert, werden im Chinesischen seit
altersher immer die gleichen Bezeichnungen gebraucht, unbeschadet daß Ort und Zeit
beständig Veränderungen der Technik hervorgerufen haben. Der Chinese hat in der
alten Zeit nicht den Scherben, sondern die Wirkung der Außenfläche, allenfalls Klang
und Härtegrad beachtet und daher nur für die Farbenverschiedenheiten unter-
scheidende Bezeichnungen erfunden, die wir kaum verständnisvoll übersetzen können.
In moderner Zeit finden sich einige recht grobe Differenzierungen für den Scherben,
die aber auch gar nicht erschöpfend sind. Im wesentlichen werden die Zeichen für
das ‚Gebrannte‘‘ (Yao) und ‚Porzellan‘ (Tzu) gebraucht; aber ersteres galt
für alle Arten von Töpfereien ebenso gut wie für Porzellan, und letzteres wurde
auch schon für Tonarbeiten angewendet, insofern Kaolin im Scherben enthalten
war. Daher wirken die chinesischen Namen eher verwirrend als aufklärend.
Anders ist es bei der Entwicklung der Stile in Form und Dekor und dem Auf-
kommen neuer Techniken, besonders der Erfindung oder der Mode gewisser Farben.
Diese Momente erscheinen mir — unter Zuhilfenahme gewisser Angaben der Literatur
— als die wesentlichsten Gesichtspunkte, unter denen eine historische Entwicklung
der Töpfereien dargestellt werden kann. Natürlich sind wir auch hierbei vor ge-
schickten Fälschungen nicht geschützt, aber es ist doch eher möglich, durch den Ver-
gleich guter Originalarbeiten einen Zeitstil zu erkennen, als nach einer bilderreichen
Beschreibung der Farben oder technischen Sonderheiten, die später eifrig nach-
geahmt wurden.
Ich beabsichtige nicht, ein Handbuch für den Sammler zu geben, auf Grund
dessen er die Stücke seines Besitzes nach äußerlichen Merkmalen bestimmen kann.
Wer dahin gehende Belehrung sucht, den verweise ich auf die oben angeführten
Werke mit ihrem reichhaltigen Abbildungsmaterial. Vor allen Dingen ist eine jahre-
lange Übung im Sehen erforderlich. Ich will versuchen, die Entwicklungsgeschichte
der Töpferkunst, die in China eine in der übrigen Welt unerreichte Höhe erlangt hat,
in großen Zügen darzustellen. Deshalb vermeide ich auch soviel wie möglich die
chinesischen Namen der Fabrikationsplätze, Formen und Farbenbezeichnungen.
In Anbetracht des begrenzten Raumes kann ich keine erschöpfende Beschrei-
bung aller verschiedenen Typen bringen, sondern muß mich auf einige Beispiele
beschränken, um den jeweiligen Stil der Zeit anzudeuten. Einen besonderen Wert
lege ich darauf, solche Töpfereien abzubilden, deren Herstellungszeit historisch be-
wiesen oder wenigstens wahrscheinlich gemacht ist.