I. Einzelformen der Barkunst
Die chinesische Baukunst!) hat alle Grundelemente, die wir in der
vorchristlichen Zeit fanden, bis zum heutigen Tage beibehalten. Im wesentlichen
sind zwei Stile zu unterscheiden.
Unter dem Einfluß des westlichen Kulturkreises (Bd. I, S. 20),
etwa im 2. Jahrtausend v. Chr., den ich als mykenisch bezeichnete, war der Stadt-
plan und der festungsartige Palastbau (Bd. I, 8.25) entstanden. In rechteckiger
Form war die Stadt umgeben von starken Steinmauern und viereckigen, meist hervor-
springenden Türmen mit breiten, geraden Straßen angelest; in der Mitte der Haupt-
straße lag der Palast mit seinen ebenfalls rechteckigen Höfen und den auf
steinernem Unterbau in einfachem Holzfachwerk verschiedener Art ausgeführten
Gebäuden. Näheres über den Oberbau wissen wir nicht, denn das minderwertige
Material ist sowohl im Westen wie im Osten Asiens nur von kurzer Lebensdauer gewesen.
Der Grundriß bei den Städten und bei den Stadtpalästen in Peking läßt die alte
Überlieferung heute noch erkennen.
Dann war (Bd.I, S. 76), wahrscheinlich als ein Ausklang der griechisch-
römischen Kultur unter dem Einfluß der mittelasiatischen Völker, der Villen-
stil etwa seit dem 3. oder 2. Jahrhundert v. Chr. aufgekommen. Die Sehnsucht
nach Licht und Luft bewirkten den Bau auf hohen, oft künstlichen Hügeln und an
natürlichen oder künstlichen Seen: Terrassen wurden ausgenutzt, kühne Fahr-
brücken verbanden die entfernten Gebäude. Große Gärten und Parkanlagen um-
gaben die Wohnungen, alles wurde weitläufiger und freier. Säulenhallen bauten
sich pyramidenartig in mehreren Etagen übereinander auf; die Fernsicht und die
landschaftliche Umgebung wurden wesentliche Bestandteile des Palastes. Die
Skulptur wurde der Architektur dienstbar gemacht; Brücken überspannten die
Wasser und mächtige Steinplatten ebneten die breiten Wege.
Neben den ummauerten Riesenbauten der Kaiserpaläste mit ihren Beamten-
wohnungen, Staatshallen und Tempeln lebte die Masse des Volkes in unschein-
baren Gebäuden, von denen nichts, nicht einmal eine Kunde erhalten ist. Der
größte Luxus wurde bei den Gebrauchsgegenständen und der inneren Ausschmückung
der Tempel und kaiserlichen Bauten aufgewendet. Wir hören von kostbaren Hölzern
und rotem Lackanstrich, von Draperien (s. Steinrelief Bd. I, Abb. 86, 89) und
Malereien, aber ein Ausbau der Außenfassaden fehlt. Selbst die Gebäude der Kaiser
sind mehr durch das Material und die Maße imponierend als durch die architektonische
Kunst. Portiken werden zahlreich verwendet und die ziegelgedeckten Dächer mit
Delphinen (Abb. 7) und Figuren geschmückt. Das Privathaus hat niemals einen
eigenen Architekturstil erlangt, außer der gelegentlichen Verwendung einzelner
Palastelemente in kleineren Dimensionen.
Während die Wohnstätten der Lebenden jeder dauerhaften Ausführung ent-
behrten, wurden für die Toten wahre Ewigkeitsbauten geschaffen. Über den Stein-
1) Fergusson, History of Indian and Eastern architecture, London 1876, S.685—710. —
Paleologue, L’art Chinois, Paris 1887, S. 80—130. — Bushell, Chinese art, London 1904,
S. 49—70. — Einzelbeschreibungen in den zahlreichen Reisebeschreibungen seit Marco
Polo bis zur Neuzeit.