Full text: Die Baukunst. Das Kunstgewerbe: Bronze, Töpferei, Steinarbeiten, Buch- und Kunstdruck, Stoffe, Lack- und Holzarbeiten, Glas, Glasschmelzen, Horn, Schildpatt, Bernstein und Elfenbein (Band 2)

  
5 Einzelformen der Baukunst 
kammern der Könige aus mächtigen Felsblöcken, mit langem steinernem 
Zugang, türmten sich Pyramiden aus Erde oder Stein (s. Bd. I, S. 25—28, Abb. 9—12). 
Dann wurden auch über den Leichen des Volkes Hügel errichtet und schließlich 
kommen die kleinen steinernen Grabkammern auf, deren Wert nicht mehr in der 
wuchtigen Masse, sondern in der künstlerischen Ausführung liegt (s. Bd. I, Abb. 
25—32, 8.51). 
Diese Grundgedanken bedingen durch Jahrtausende die Ausführung der 
Architektur. Es findet kein Übergang zum eigentlichen Steinbau statt, die Kon- 
struktion bleibt stets aus Holz; Eisen wird nicht verwendet. Hausteine, besonders 
Marmor, waren bekannt und wurden meisterlich behandelt, aber sie spielten nur eine 
geringe Rolle. Im wesentlichen wurden sie für Festungs- und Wallbauten und in den 
Tempeln und Palästen bei der Pflasterung der weiten Höfe und Wege, bei Treppen 
und Brücken benutzt. Unter dem westlichen Einfluß (Bd. I, 8.52) war die An- 
bringung von geschlagenen und getriebenen Metallblechen aufgekommen; als Zier- 
beschläge an Türen, Brüstungsgeländern, Decken und Giebelfeldern haben sie sich er- 
halten. Daneben wurden Holzschnitzereien in oft überladener Weise sehr beliebt. 
Ist es der Mangel an Steinmaterial oder die Unkenntnis der Technik, daß der 
traditionelle Holzbau — im Gegensatz zu der Entwicklung in der übrigen Welt — 
niemals aufgegeben wurde? Sicher nicht, denn Pagoden und Grabmonumente 
sind aus massigen Steinen konstruiert, und die mächtigen Bauten der Wälle 
und Festungswerke gleichen quantitativ gewaltigen europäischen Anlagen. 
Die Baukunst eines Volkes entwickelt sich nicht durch Zufall, sondern durch 
innere Notwendigkeiten oder äußeren Zwang. Beide sind in China anders als in der 
übrigen Welt und haben sich seit 4000 Jahren nicht verändert. Der Priester-Kaiser 
in seiner absoluten, autokratischen Macht, heute wie damals der Gott-Mensch, bildet 
mit seinem Hofstaat in der von der übrigen Welt und dem Volke abgeschlossenen 
Palaststadt ein Reich für sich. Niemals in der viertausendjährigen Geschichte hat 
China den Versuch einer republikanischen oder plutokratischen Regierungsform 
gemacht und daher auch niemals die bewährte Form des festungsartigen Kaiser- 
Palastbaues geändert. 
Keine Feinde mit überlegenen Waffen zwangen bis in unsere Tage zur Änderung 
des Festungsstiles, da nur Nomadenvölker mit ihren flüchtigen, aber leicht bewaff- 
neten Massenheeren die Angreifer waren. Die politische und militärische Verfassung 
blieb die gleiche wie in der Zeit um Mykenäs Blüte. Wie noch heute die Opfer im 
Bronzekessel des ältesten Stiles dargebracht, die Poesien des Altertums gelesen und 
die alttraditionellen Götter verehrt werden, so ist auch der Stadt- und Palastbau 
zwar variiert in der Ausführung, aber im Schema beibehalten. 
Im Chouli, dem Geschichtswerk der Chou-Dynastie (1122—249 v. Chr.), sind 
die Grundregeln für die Höhe, Breite und Länge der einzelnen Gebäude, die 
Zahl der Höfe, die Erhebung der Plattform und die Zahl der Säulen für die einzelnen 
Rangstufen genau vorgeschrieben. Das Hauptgebäude eines Gebildeten, der die 
Examina gemacht hat, soll nur drei!) Öffnungen zwischen den Säulen an der Fassade, 
das eines Mandarin erster Klasse fünf, das eines Prinzen sieben enthalten, und nur 
die kaiserlichen Paläste haben neun und mehr Abstände. Wie die alten Rangklassen, 
Farben, Abzeichen und Zepter noch heute in Ehren gehalten werden, so haben auch 
die Gesetze für die Bauten ihre Bedeutung niemals verloren. 
Das Denken der Chinesen beruht auf einer eigenen Welt ethischen und 
ästhetischen Empfindens. Ein Iyrisches Gedicht, eine fein getönte Malerei, ein 
philosophischer Gedanke sind die geschätzten Werke der Kultur, nicht ein protziger 
1) Über die Bedeutung der Zahlensymbolik in der Architektur vergl. Boerschmann, 
Architektur und Kulturstudien in China, Ztschr. f. Ethnologie, 1910, Heft 3, S. 399 u. #. 
 
	        
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