Full text: Die Baukunst. Das Kunstgewerbe: Bronze, Töpferei, Steinarbeiten, Buch- und Kunstdruck, Stoffe, Lack- und Holzarbeiten, Glas, Glasschmelzen, Horn, Schildpatt, Bernstein und Elfenbein (Band 2)

  
  
400 Stoffe — Stickereien und Gewebe 
entkleidet, als rein künstlerisches Motiv auf modernen Menükarten und Tapeten 
gezeichnet werden, so sind Drache und Phönix ein Allgemeingut des asiatischen 
Abb. 576 Rollbild (Kakemono), 
Schwalben auf einer Weide, Reiher- 
paar im Sumpf, Päonien und Berg, 
Gedichtinschrift, farbige Seiden- 
stickerei, Kantonarbeit, British 
Museum, London, 19. Jahrhundert 
(Aus: Bushell, Chinese art, Bd. II) 
Text s. S. 403 
Kunstgewerbes geworden. Im Einzelfalle irgend 
eine direkte oder indirekte Beziehung mit China 
oder chinesischen Handwerkern anzunehmen, scheint 
mir ganz verfehlt. Die Ausführung im Westen ist 
so unchinesisch, daß wahrscheinlich die Chinesen 
selbst in den meisten Fällen gar nicht das Vorbild 
erkennen würden. 
Wie bei den chinesischen Bronzen aus west- 
lichen Tierbildern die sinnlosen Tierornamente 
(s. S. 106) entstanden, so sind die Tiere des Ostens 
zu Stoffmustern gestaltet, bei denen auch nicht 
eine Linie an ostasiatische Grazie, Bedeutung und 
Geist erinnert. In China ist überdies die be- 
deutungsvolle Symbolik des Drachen noch heute 
lebendig, so daß schon eine gewisse heilige Scheu 
vor der Verzerrung und der Anwendungsart, wie sie 
bei westasiatischen Teppichen üblich ist, bewahren 
würde. Nur in fremden Ländern, in denen die 
geistige Bedeutung der Vorlage unbekannt war, 
konnte das dekorative Ornament entstehen, dessen 
Ausführung nicht mehr von Gesetzen des fremden 
Vorbildes bedingt wurde. 
Ganz ähnlich verhält es sich mit dem chinesi- 
schen Wolkenband, das seit dem 16. Jahrhundert 
ein Hauptmotiv der vwestasiatischen Teppich- 
ornamentik wurde. Eine stilisierte Ausarbeitung 
in dünne Bänder und Streifen ist im Osten gänzlich 
unbekannt. 
Das gebuchtete Wolkenornament, als Füllung 
eines leeren Zwischenfeldes, findet sich auf mykeni- 
schen Dolchklingen aus dem zweiten Jahrtausend 
v. Chr. (s. Bd. I, 8.21). Es hat in der Gestalt der 
vielfach gebuchteten Linie die chinesische Orna- 
mentik beeinflußt (Bd. I, Abb. 81) und als Wolken- 
ballen bei den Malern große Beliebtheit erlangt 
(Abb. 575). In der Malerei wurde hieraus ein be- 
quemes Hilfsmittel, die nebeneinander abgebildeten 
Szenen zu trennen. Die flockigen Wolken konnten 
wie Nebel und Rauch sich allen freien Flächen 
zwanglos anpassen und ebenso plötzlich auftreten 
wie verschwinden, ohne störend zu wirken. Bald 
wurden kleine Flocken in die Fläche gestreut, bald 
ganze Bilder von Wolkenballen umschlossen. Dieses 
bequeme Füllmittel wurde auch auf Stickereien an- 
gewendet (Abb. 577, oben), aber die Idee des Wolken- 
ballens ist in China erkennbar geblieben. 
Die Teppichfabrikanten des Westens hatten 
wahrscheinlich das in China auf Malereien stets vorhandene Vorbild der Wolken 
gar nicht gesehen und übernahmen die gebuchtete Wolke als Ornament, das sie 
in lange dünne Bänder und Ranken auseinanderzogen, wie es der chinesische 
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