Kupferzellenschmelz — Stil — Wurmranke 461
die vor dem 15. Jahrhundert in keiner Technik vorkommen. Die antiken Bronze-
ornamente wurden ebensowenig in die neue Technik übertragen wie die älteren Stoff-
oder Töpfereidekorationen. Wir haben wiederholt feststellen können, daß der Ostasiate
mit seinem konservativen Geist an dem einmal zur Zeit der Einführung angewendeten
Material und Dekor zähe festhält. Wäre die Fabrikation autochthon entstanden, so
hätte man entweder alte Muster anderer Techniken übernommen und in Anpassung
an Zweck und Material etwas umgeformt oder neue naturalistische Formen ge-
schaffen. Bei den Emaillearbeiten aber finden wir eine so eigenartige, bereits völlig
durchgearbeitete und wirkungsvolle Ausschmückung, daß wir ein in anderen Ländern
fertig ausgestaltetes Vorbild annehmen müssen. Es ist unmöglich, daß ein Hand-
werker durch eigenes Sinnen ein Muster wie das rein dekorative Rankenornament auf
dem Rande der Schüssel (Abb. 641) erfindet und daß sein Vorbild so suggestiv wirkt,
daß die ganze Industrie jahr-
hundertelang ähnliche unkon-
struierte, rein malerische Spi-
ralen als Füllmuster mit Vor-
liebe verwendet. Ein derartiges
Muster verlangt zu seiner Er-
findung zuerst ein naturali-
stisches Pflanzengeranke, aus
dem dann ım Laufe längerer
Zeit die stilisierten Ranken-
stückchen, die wurmartig die
Fläche überziehen, durch geist-
los nachbildende Handwerker
entstehen. Dieses notwendige
Vorbild ist in China nicht nach-
weisbar, wohl aber im Westen,
wo auch, wie wir gleich sehen
werden, die verstümmelten
Rankenenden vorkommen.
ker - Abb.642 Obere Seite einer Schale mit farbigem .Zellenschmelz.
Im Innsbrucker Museum be Im Mittelkreis Alexander der Große im Greifenwagen zum Himmel
findet sich einesehr interessante fahrend; in den Seitenkreisen; stilisierte Adler mit Kreisnimbus
. und abstehenden Federn, Tiergruppen im Kampf, dazwischen
Kupferschüssel (Abb. 642) von Figuren und Palmenbäume, Untergrund mit Wurmmuster
96cın Durchmesser. die von bei- Innsbrucker Museum. Persische und arabische Inschrift auf Rand
? benennt einen Ortokidenfürsten, 1141—1144
den Seiten mit Email cloisonn&
überzogen ist. Sie nimmt eine
ganz isolierte Stellung ein, ähnlich wie der oben erwähnte Spiegel in Japan, und ist
der Gegenstand zahlreicher Meinungsstreitigkeiten europäischer Gelehrter geworden.!)
Wir sehen verschiedene Stile auf der Schüssel vereint. In der Mitte der von
zwei Greifen gezogene Wagen mit einem gekrönten Herrscher in westlicher Tracht,
den Falke und Strzygowski durch Vergleich mit ähnlichen Darstellungen als Alexander
1) Migeon, Gazette des beaux arts, Februar 1906. — Martin, A history of oriental
carpets before 1800, London 1906, 8.110, Fig. 260. — Migeon, Les arts plastiques et
industriels, Manuel d’art Musulman, Paris 1907, Bd. II, S. 156, Abb, Fig, 138. — v. Falke,
Kunstgeschichtliche Gesellschaft. Sitzungsbericht, 1909, Vortrag über byzantinischen und
islamischen Kupferzellenschmelz. — v. Falke, Kupferzellenschmelz im Orient und Byzanz,
Monatshefte für Kunstwissenschaft, 1909, Bd. II, S. 234, Abb. 1 und 2. — v. Berchem-
Strzygowski, Amida, Heidelberg 1910, S. 348. — Illustr. Geschichte des Kunstgewerbes,
Bd. II. Braun, Das Kunstgewerbe im Kulturgebiete des Islam, S. 648, Abb. 525 und
Tafel. — Ausgestellt auf der Mohammedanischen Ausstellung, München 1910, Katalog
No. 3056, S. 227.