ASt Elfenbein
Tempeln und Palästen, die im Kaiserpalast aufgestellt waren, in Komposition
und Ausarbeitung eine künstlerische Vollendung dieses bizarren Rokokostils auf-
gewiesen haben.
Kanton war und ist der Haupthafen für die Einfuhr des südasiatischen
Elfenbeins und andererseits der Hauptfabrikationsplatz für die Schnitzereien.
Dort besteht seit Jahrhunderten ein umfangreiches
Exportgeschäft von zahlreichen Kuriositäten für den
westlichen Markt. Ein besonderer Artikel sind die
„chinesischen Schachfiguren“. Seit über hundert
Jahren finden sie sich in Europa weit verbreitet und
gelten als typische chinesische Arbeiten. Chinesisch ist
aber daran nur die meist sehr mangelhafte Handwerker-
schnitzerei nach den alten Grabfiguren der Mingzeit
(Abb. 114). Verhältnismäßig seltene Stücke (Abb. 675)
weisen wenigstens bei dem weißen König die miß-
verstandene europäische Tracht aus dem Anfang des
19. Jahrhunderts auf. Schach wird in China nur mit
einfachen Steinen (S. 190) gespielt, auf denen die Be-
zeichnungen geschrieben stehen. Als ich kürzlich einem
Chinesen derartige Figuren zeigte, bestritt er ganz ent-
schieden, daß sie chinesisch seien und erklärte sie als
europäische Arbeiten im Stile der Chinoiserie! So un-
chinesisch erscheint dem Chinesen diese Exportarbeit,
die als echt chinesisch in Museen und Sammlungen
Europas zu finden ist.
Besondere Bewunderung wird gewissen Schnitzereien
gezollt, die als unnachahmliche Wunder der Technik
angesehen werden. So ist der Europäer meist ver-
blüfft, wenn er eine dünne, durchbrochen gearbeitete
Kugel aus einem Stück Elfenbein sieht, in deren
Innerem weitere ebenso gearbeitete Hohlkugeln sich
befinden (Abb. 674). In Wirklichkeit ist die Arbeit
zwar mühselig und erfordert technische Geschicklichkeit,
aber sie ist weder kunstvoll noch besonders schwierig.
Coucheron-Aamot beschreibt die Herstellung in folgen-
der Weise.t) Eine massive Elfenbeinkugel wird mit
konischen Instrumenten systematisch an vielen Stellen
durchbohrt, so daß die Spitzen der Löcher sich in der
Mitte treffen. Mit einem feinen Stahl mit scharfer,
Se BE krummer Spitze wird zunächst am Radius der innersten
Abb. 674 Hohlkugelmitbeweg- Kugel gearbeitet, bis die Verbindung zwischen den
en men Löchern durchschnitten und dadurch die erste Kugel
arbeit, Hänger und Abschluß selöst ist. Es ist dann leicht, sie an der Oberfläche
mit Figuren und Pflanzen reich EN : a \ E
geschnitzt, Elfenbein, 47 em zu glätten und zu feilen, indem man die verschiedenen
A u en zu bearbeitenden Stellen nacheinander vor die Öffnung
des konischen Loches bringt. So verfährt man dann
mit der zweiten Kugel, der dritten usw., und das Kunststück ist fertig.
Coucheron fügt hinzu: ‚Die Elfenbeinkugeln werden hauptsächlich für die
Europäer angefertigt und finden reißenden Absatz bei den unzähligen Touristen,
die Kanton jährlich besuchen.“
1) Coucheron-Aamot, Durch das Land der Chinesen, Leipzig 1898.