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Physiologische Optik. 1055
Wie weit ein Gegenstand, dessen wahre Grösse wir nicht kennen, von uns ent-
fernt ist, dies zu beurtheilen, bleibt stets Sache der Uebung. Es geschieht mittels
eines Auges, theils durch Wenden des Kopfes, durch Bewegung des Körpers, um
die Grösse des Winkels kennen zu lernen, den die Blicklinien bei den ver-
schiedenen Stellungen einschliessen, theils durch Vergleichung der Akkomollations-
Anstrengung, hängt aber im ganzen wesentlich von Nebenumständen ab. Liegen
zwischen dem zu messenden Gegenstande und uns noch viele andere, so dünkt er
uns ferner und daher grösser; auch die Luftperspektive ändert unser Urtheil,
insofern bei klarer Luft die Objekte uns näher zu liegen scheinen, als bei nebliger
Atmosphäre, Ein sicheres Mittel die Tiefen-Dimensionen des Gesichtsfeldes zu
messen, liefert uns aber erst das Sehen mit zwei Augen. Wie schon erwähnt,
sehen wir ein fixirtes Objekt einfach; um daher verschieden entfernte Dinge
deutlich zu sehen, müssen wir den Winkel zwischen den Blicklinieu ändern, wozu
wir eine verschieden grosse Anstreneune auszuüben haben. Ausser dem direkt
fixirten Gegenstand sehen wir nun noch alle diejenigen Objekte einfach, deren
Bilder in Bezug auf die Netzhautgrube in gleicher Richtung und Entfernung liegen.
a a Dass wir nicht alle im Sehfeld ge-
MN AN lesenen Dinge einfach sehen, lässt sich
in Vf ) leicht beobachten. Von zwei vor das
" “7 Nr T Gesicht in verschiedener Entfernung und
a 5 hinter einander gehaltenen Fingern er-
| scheint stets der nicht fixirte doppelt und
v verschwommen. Die Verbindungslinii
I} aller zugleich einfach gesehenen Punkte
heisst der „Horopter“. Derselbe ist eine
ig. 1020. Kurve doppelter Krümmung.
Viel wichtiger als zur Schätzung der Eutfernung
a. der Dinge ist aber das Sehen mit zwei Augen für
. unsere räumliche Anschauung und unsere Vorstellung
Fig. 1021. der Körperlichkeit der Dinge. Es war der grosse und
au mm vielseitige Lionardo da Vinci, welcher zuerst auf
ke \ \ die Verschiedenheit der durch die beiden Augen
erhaltenen Bilder eines Objekts aufmerksam machte
In der That erblickt von der vor das Gesicht gebrachten
\ A Hand, deren Daumen der Nase zugekehrt ist, das
rechte Auge beim Schliessen des linken mehr von
OKSSS> ZZ) der Innenfläche, das linke mehr vom Rücken der Hand
as oder umgekehrt. So erhalten wir von einem fixirten
| Objekte also gleichsam den Eindruck zweier von
000 einander abweichenden perspektivischen
w - Bilder. Darin liegt der Grund, dass in uns ein
Bild, und sei’es vom erössten Künstler in besteı
Perspektive gemalt, niemals den Eindruck der körper-
lichen Natur hervor ruft; dasselbe vermag eben nuı
den beiden Augen eine Ansicht zu liefern.
Dass in der That erst die Verschmelzung deı
verschiedenen perspektiv. Netzhautbilder die körperl.
« . Anschauung zu Stande bringt, lehrt das von
Wheatestone erfundene:
Stereoskop. Bieten wir auf irgend eine Weise
zwei von wenig verschiedenen Standpunkten aufgenommene Bilder eines Objekts
sleichzeitig so den Augen dar, dass jedes Auge nur ein Bild, beide aber dieselben
am gleichen Orte des Raumes erblicken, so erhalten wir den Eindruck eines
körperlichen Objekts. Wheatestone erzielte dies mit zwei Spiegeln m und n, Fig. 1020,
welche die verschiedenen Bilder 5 und £ beiden Augen @ und « in d erscheinen
lassen, so aber dass a nur 5 und « nur % erblickt.
Dasselbe wird mittels des Brewster’schen Prismenstereoskops erreicht,
dessen Wirkungsweise aus Fig. 1021 hervor geht.
Wie genau das stereoskop. Sehen ist, folgt aus dem Versuch Dove’s, dass
zwei ganz gleiche, mit derselben Platte gedruckte Kupferstiche im Stereoskop eine