298 Schiffahrts-Betrieb.
anhängenden, in voller Fahrt befindlichen Fahrzeuge dieses oder sich unter
einander anlaufen und beschädigen. Da in einem solchen Falle nur durch das
schleunige Abwerfen der Schleppstränge von Seiten des Dampfers, durch das
Auswerfen der Anker, sowie Bereithalten von Stangen seitens des Anhangs, die
üblen Folgen eines Zusammenstosses vermieden werden können, so erfordert
die Thalfahrt eines Schleppzuges die grösste Aufmerksamkeit der betheiligten
Schiffer, welche besonders auch geboten ist, wenn in der Thalfahrt begriffene
Schleppzüge Abends auf dem Strom vor Anker gehen oder Morgens zur Weiter-
fahrt aufbrechen.
Die Schleppdampfer fahren in Deutschland nicht selten mit einem „An-
hange“ von 3 bis 6 — unter Umständen auch noch mehr — Schiffen und giebt
es deren z. B. jetzt auf dem Rhein, welche imstande sind, mit einem Anhange
von über 3000t Ladung in 4 eisernen Kähnen, die 92km lange Strecke von
Ruhrort bis Köln auf der Bergfahrt in 18 Stunden zurück zu legen, d. i. etwa
5km in 1 Stunde.
Die mittlere Geschwindigkeit eines Dampf-Schleppzuges auf Kanälen wird
in der Regel nicht über 5km in 1 Stunde angenommen, weil durch die schnelle
Fahrt, verstärkt durch die Umdrehungen der Radschaufele oder der Schraube eine
für den Bestand der Uferböschungen gefährliche Bewegung des Wassers ver-
ursacht wird. Es ist deshalb meist eine unausbleibliche Folge der Einführung
der Dampfschiffahrt auf schmalen Gewässern, dass die Ufer künstlich befestigt
werden müssen.
Unter den Dampfschiffen sind die Schraubendampfer am verbreitetsten,
weil sie neben dem Vorzuge der Billigkeit den beim Befahren enger Gewässer
hoch anzuschlagenden Vortheil geringer Breite besitzen und weil auch der
Nutzeffekt der Dampfkraft grösser als bei den Raddampfern ist (42 bis 64%,
gegen 36 bis 52°/, der indiz. Kolbenarbeit). Dagegen ist ein Nachtheil dieser
Schiffe, dass für das vortheilhafte Arbeiten der Schraube ein verhältniss-
mässig grosser Tiefgang erforderlich wird. Da infolge dessen bei niedrigen
Wasserständen die Schraubenflügel den Flussgrund berühren und an Steinen
oder sonstigen Hindernissen zerschlagen werden, so haben sich grössere
Schraubendampfer auf den obern Stromläufen nicht bewährt und werden da-
selbst {rotz des erforderlichen höhern Anlagekapitals neuerdings wieder durch
Raddampfer — auf schmalen Gewässern durch Hinterrad-Dampfer — ersetzt.
«. Ketten- und Seilschiffahrt. Kette oder Seil werden in der Fahrrinne
des Wasserlaufs auf der Sohle verlegt und nur am obersten Ende. verankert.
Abweichungen in der Lage der Kette, welche dadurch entstehen, dass der
Schlepper dieselbe in der Regel nicht wieder an die gleiche Stelle legt, von
welcher er sie aufgenommen hat, sowie Aenderung in der Lage, welche durch
Verlegung der Fahrrinne nothwendig werden, ordnen die, meistens leer zurück
fahrenden Schlepper selbst.
Die Kette liegt bei der Bergfahrt eines Schiffszuges schon etwa in 300 bis
400m Entfernung vom Schiffe unbeweglich auf dem Flussbette. — Meist wird
die Kette mit einer Stärke von 20 bis 30mm, das Drahtseil mit 20 bis 25 mm
Stärke verwandt.!)
Mit grösseren Schiffszügen werden auf der stark gekrümmten obern Elbe
noch Kurven bis 180m Halbm. durchfahren. Die angehängten Kähne fahren zu
zweien neben einander, infolge dessen bei nicht zu breiter Stromrinne das Be-
gegnen, namentlich mit Flössen, grösste Vorsicht erfordert. Wenn Schiffszüge
sich begegnen, muss der zu Thal fahrende Schlepper die Kette, bezw. das Seil
abwerfen. Am leichtesten ist dies Abwerfen und Wiederauflegen ausführbar
bei Seilschiffen, an denen das Seil seitwärts vom Schiff liegt.
Die Zahl der gleichzeitig von einem Ketten- oder Seilschlepper geschleppten
Frachtschiffe ist meistens grösser als bei frei fahrenden Schleppzügen. Auf der
Elbe sollen Züge von 24 Kähnen vorkommen. Die etwa 60 bis 80 nom. Pfdkr.
starken Kettenschlepper der Oberelbe fahren bei einem Gefälle derselben von
etwa 1:3000 mit 1200t in den Lastkähnen rd. 6km in 1 Stunde zu Berg.
1) Vergl. Deutsche Bauzeitg., Jahrg. 1867, 1876 und 1877.