§ 40. Elemente und Coordinaten als Functionen der Zeit.
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oder unendlich werden kann, wenn der Coefficient des betreffenden
Gliedes sehr klein ist. Doch damit werden die principiellen Bedenken,
welche neuerdings Herrn Professor Dr. Gylden zu Untersuchungen
veranlasst haben, keineswegs verdrängt.
Vernachlässigt man nun in den Differentialgleichungen derartige
Glieder, so ehminirt man diesen Umstand. Jedoch ist es unzweifel
haft, dass dies im Laufe der Jahrtausende sich rächen muss, um wie
viel mehr also, wenn es gilt, eine Form aufzustellen, die in aller
Strenge für alle Zeiten richtig sein soll. Der heutigen Sachlage ent
sprechend kann man daher nur sagen:
Der Zustand des Gleichgewichtes unseres Planeten
systems ist durch die ausserordentlichen Anstrengungen
der Mathematiker für nach menschlichen Begriffen sehr
lange Zeiten, aber nicht für immer erwiesen.
Wie aber, wenn die Form 4— 8 ) für die Coordinaten, die sich
als Annäherungsresultat aus der Theorie der Variation der Elemente
unter Benutzung gewisser günstiger Umstände, bestehend in der
Kleinheit der störenden Massen und in der Kleinheit der Excentrici-
täten und Neigungen ergeben hat, wenn diese Form die thatsächlich
der Wahrheit entsprechende wäre, wenn sie nicht den Charakter
einer Interpolationsformel, sondern den eines mathematischen Gesetzes
trüge? Meiner Meinung nach ist diese Frage von der principiellsten
Bedeutung, weil durch eine bejahende Antwort den tiefsinnigen Unter
suchungen eines Laplace und Lagrange eine glänzende Rechtferti
gung gegeben werden würde. Es ist ihnen der Vorwurf gemacht
worden, dass ihre Integrationsmethoden der mathematischen Strenge
entbehren, dass sie gewissermaassen ein Gefühl für das ohne Nach
theil zu Vernachlässigende beanspruchen, ein Gefühl, welches trüge
risch sein kann, und in der That, wie in § 26 gezeigt, bereits irre
geleitet hat. Mancher Mathematiker hat sich durch diesen Umstand
abhalten lassen, den Werth ihrer Resultate gebührend zu würdigen.
Alle Bedenken aber, welche man anführen kann, haben sie unzweifel
haft selbst am besten empfunden und wenn sie etwas Besseres an
Stelle des Guten hätten setzen können, so wäre es gewiss geschehen.
Gelingt es nun, die Gesetze, welche sie durch eine allerdings unvoll
ständige Induction entdeckt haben, auf anderem Wege als vollendete
Wahrheiten zu beweisen, so gebührt ihnen das grosse Verdienst, von
allen beunruhigenden Zweifeln unbeirrt das grosse Problem der Be
wegung der Himmelskörper nach dem NEWTON’schen Gravitations
gesetz seiner endgiltigen Lösung entgegengeführt zu haben.
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