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fälligen Leidenschaften abspielt. *) In demselben Verhältnisse
erachten sich die Götter durch die Sünden am meisten,
weniger, am wenigsten oder garnicht für beleidigt
oder umgekehrt durch die ihnen entgegengesetzten Werke
am meisten, weniger, am wenigsten oder garnicht für
geehrt. Gleichviel hält er vom Reden und Bekennen,
*) An diesei' Stelle ist es nötig, auf eine falsche und höchst bedenk
liche Konsequenz zu deuten, welche sich aus der. durch den in Note 2
auf Seite 135 erklärten, einseitigen Gegensatz bei Bruno hervorgerufenen
Überschätzung der bloss objektiven Seiten von Tugend und Sünde ergeben
kann. Die Deduktion läuft hier anscheinend in einen Utilitarismus aus,
der das Gemeinwohl zum einzigen Prinzip der Ethik macht und Bruno’s
sonstiger, mindestens seiner später in den r heroici furori“
poetisch dargestellten Persönlichkeits-Ethik durchaus entgegen
ist. Denn es ist klar, wie nach den im Text geäusserten Grundsätzen
schliesslich gar manche Sünde als erlaubt gelten kann, deren Recht
fertigung dennoch vor dem sittlichen Bewusstsein nicht gelingt; — um
vom Selbstmord zu schweigen, da über die Frage nach dessen Sittlich
keit oder Unsittlichkeit unter Umständen auch vor dem Richterstuhl
einer edleren Moral zu streiten ist, genügt es, darauf hinzuweisen, wie
die Laster der Sinnlichkeit, insbesondere geschlechtliche Ausschweifungen,
da sie eben nur „unter zweien mit beiderseitigem Einverständnis oder
gar bloss „innerhalb der Verfassung des Individuums“ sich abspielen,
aus den obigen Sätzen eine sophistische Verteidigung herleiten könnten,
gegenüber welcher der etwaige Einwand „bösen Beispiels“ ganz abgesehen
von der möglichen Heimlichkeit sich in einen circulus vitiosus auflösen
liesse; der Hinweis auf indirekte Schädigung der Gesamtheit durch
Selbstzerrüttung oder Selbstbefleckung des Individuums muss an der
Autonomie des Einzelsubjekts scheitern.
Hier erweist sich wiederum, dass eine ausreichende Ethik auf rein
realistischer Basis nicht zu begründen ist, auch Kant’s „kategorischer
Imperativ“, übrigens nichts besseres als eine philosophische Formulierung
des gesunden Kernspruchs: „Was Du nicht willst, das Dir geschieht, das
thue auch keinem andern nicht!“ leistet wenig mehr.
Nur der metaphysische Individualismus vermag eine ausreichende
Ethik widerspruchslos zu deduzieren. Indem er das Individuum nicht
von der Gesamtheit absorbieren lässt, die Zwecke der Gesamtheit aber
zugleich als die wahren Zwecke des in ihr wurzelnden Individuums erkennt,
stellt er den Sollbegriff einer zu entwickelnden idealen Persön
lichkeit hin als Ziel und Norm der Sittenlehre. Schon die Alten
kannten diesen Sollbegriff in dem Ideal des avijQ KdÄÖg uäyadög,
aber erst das Christentum machte ihn zum Eckstein der Religion und fand
in der vorbildlichen strengen Aufstellung eines Persönlichkeits - Ideals seine
eigentlichste und innerlichste Bedeutung. Christi den Wert der Persönlich
keit nicht nach dem äusseren Werk, sondern rein nach der Gesinnung
bemessenen Ethik gleicht einer Pyramide, welche, sich aufbauend aus den
Geboten dev Bergpredigt, wie z. B. „Ihr habt zwar gehört, dass zu den
Alten gesagt ist: du sollst nicht töten! Ich aber sage Euch: Wer seinen
Bruder hasset, der ist des Gerichts schuldig! u. s. w., in die Spitze
endigt: Ihr sollt vollkommen sein, wie Gott vollkommen ist!“
Es ist übrigens hier an die ausdrückliche Verwahrung Bruno’s in
seinem Erläuterungsschreiben zu erinnern, wonach er im „Spaccio“ noch
nicht seine eigentliche Ethik, sondern nur allgemeine Präliminarien,