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sofern es sich auf Besserung und Enthaltung von Lüsten
bezieht, und die Gedanken schätzt er nur, soweit sie sich in
äusseren Zeichen und in möglichen Wirkungen ausprägen.
Das Gericht soll nicht dulden, dass man den, der hloss
seinen Körper bemeistert, einem andern gleichsetze, welcher
seine Seele zu beherrschen weiss, nicht gleichstellen lassen
soll man den einsamen nichtsnutzigen Betbruder hier mit
jenem thatkräftigen nützlichen Förderer des Menschenwohls
dort. Sitten und Religionen soll man nicht so sehr nach
Verschiedenheit der Trachten und Riten, als vielmehr nach
der besseren Tugend und Lebensart rangieren; auszeichnen
soll es nicht so sehr den, der vielleicht das Glimmen einer
an und für sich bereits schwächlichen und kalten Sinn
lichkeit gedämpft hat, als vielmehr jenen, der den Ansturm
einer heftigen Leidenschaft gemässigt hat, und der, ohne
furchtsam zu sein, massvoll duldet. Nicht so sehr soll
es jenem Lob zollen, der sich — vielleicht ohne
allen Vorteil für andere — auf Entsagung der Wollust
verpflichtet, als jenen anderem, der sich fest entschieden
hat, fernerhin kein Lästerer und Übelthäter mehr zu
sein. Es erkläre die edle Ruhmsucht, aus der für das
Präludien und ungewisse Skizzierungen ethischer Betrachtungen nieder
gelegt habe. Auch ist gerade für diese Stelle wesentlich nicht der
moralische, sondern der rechtliche Gesichtspunkt massgebend. Recht
und Moral verhalten sich aber zu einander nicht wie zwei sich völlig
deckende, ja nicht einmal wie zw T ei konzentrische, sondern nur wie zwei
sich schneidende Kreise, das Recht fordert nur die äussere Handlung,
die Gesinnung, aus der sie hervorgeht, ist ihm unwesentlich. Freilich ist
unverkennbar und auffällig, dass eigentlich der antike Staat, dessen Vorzüge
vor den modernen, sog. christlichen Staaten, Bruno hier hervorhebt, im
Gegensatz zu letzteren viel mehr eine sittliche und innerliche, als bloss
äusserliche und rechtliche Hingabe von seinen Bürgern verlangte; der
antike Staat verlangte Gesinnung, der moderne Zw r angsstaat muss sich
mit Handlungen begnügen. Dies zeigte sich sogar im antiken Strafrecht,
cf. v. Ihering, Geist des römischen Rechts, I. p. 47. 48.
Diese unsere Wertschätzung von der christlichen Ethik scheinbar
widerlegende Thatsache erklärt sich aber, wenn man bedenkt, dass ein freies
Christentum in freien Staaten bislang noch gar nicht verwirklicht worden
ist, dass die Geschichte bislang nur einerseits ein verstaatlichtes und kirchlich
verunstaltetes und andererseits ein weltflüchtiges und quietistisches
Christentum aufzuweisen hat. Erst die vollendete, äussere Trennung
von Kirche und Staat, erst die freie Kirche im freien Staat wird
die Durchsetzung der Staatsidee mit der Idee eines reinen und an und für
sich keineswegs lebensfeindlichen Christentums und also den wahrhaft
„christlichen Staat“ ermöglichen.