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Da lachten alle Götter, weil sie sahen, dass Momus
der Armut die Logik beibringen wollte, und seitdem ist
es im Himmel zum Sprichwort geworden: „Momus ist
der Lehrer der Armut“, oder „Momus lehrt der Armut
die Dialektik.“ Das sagen sie, wenn sie ein taktloses
Benehmen tadeln wollen.
„Was meinst Du denn, dass mit mir geschehen
soll,“ sagte die Armut, „fertige mich, bitte, schnell ab;
denn ich bin weder so reich an Worten und Begriffen,
um mit Momus disputieren zu können, noch so reich an
Geist, um viel von ihm lernen zu können.“
Da bat Momus den Zeus für dieses Mal um die
Erlaubnis, die Entscheidung treffen zu dürfen. Ihm
erwiderte Zeus: „Auch mich hast Du zum Besten,
o Momus? Du nimmst Dir so viel Licenzen, dass Du
licenziöser*) bist, als alle anderen; man möchte Dich
der Logik zwischen jeder Mehrzahl von Prädikaten p 1 p 2 p 3 p 4 , von
denen jedes einzelne einem Subjekt S nur unter Ausschluss aller anderen
beigelegt werden kann, während S jedenfalls mit unter dem p 1 — p 4
zusammenfassenden Allgemeinbegriff des Prädikats P steht und
eines dieser Prädikate haben muss. Ein kontradiktorischer Gegensatz
besteht dagegen zwischen nicht mehr als zwei Prädikaten p l und p 2 ,
wenn das von S jedenfalls zu bejahende Allgemein-Prädikat P nur in diese
beiden zerlegt wird. Nur beim kontradiktorischen Gegensatz folgert
aus der Verneinung des einen die Bejahung des anderen; wie z. B. daraus,
dass alle Linien entweder gerade oder krumm sind, wenn verneint wird,
dass eine Linie krumm ist, folgert, das sie gerade ist, während daraus,
dass verneint wird, eine Linie sei elliptisch, nicht folgert, dass sie kreis
förmig ist. So folgert natürlich auch daraus, dass der Platz des Herkules
dem Reichtum aberkannt wird, keineswegs, dass er der Armut zuzuerkennen
ist. Denn in Beziehung auf den Platz oder die Wertschätzung sind
Reichtum und Armut keine kontradiktorischen, sondern nur konträre
Begriffe. So selbstverständlich dies klingt, so sind doch derartige falsche
Anwendungen des Argumentums a contrario im Leben, und vor allem bei
den klugen Juristen, nichts seltenes und mit Recht weist Lotze. Logik,
89. p. 113, ihnen gegenüber auf die Nutzbarkeit der von den Logikern
wenigstens für unfruchtbar, wenn nicht für unzulässig geachteten Schlüsse
nach der zweiten Figur aus zwei negativen Prämissen hin.
Die Lehren des Aristoteles, auf die Momus hier verweist, finden
sich übrigens nicht in dessen Analytiken, sondern in der Topik, Buch II,
Kap. 6, 7, 8.
*) Das von Bruno hier gemachte Wortspiel konnte nur durch Bei
behaltung des Fremdworts „licenzioso“ wiedergegeben werden, bekanntlich
bezeichnet Licenziat einen im Mittelalter auf allen, auch den deutschen
Universitäten üblichen akademischen Grad, dessen Träger sich. w r ie unsere
heutigen „bemoosten Häupter“ manchmal durch eine charakteristische
Ausgelassenheit hervorthun möchten.