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Der Steinbock: — Geistesfreiheit und Sammlung.
Darauf lmb Momus an: „Was wünschest Du, o
Vater, dass geschehen soll mit diesem heiligen, unbe
fleckten und ehrwürdigen Steinbock? 1 ) diesem Deinen
göttlichen und erhabenen Milchbruder, unserem wackeren
und mehr als heldenhaften Mitkämpfer gegen den gefahr
vollen Angriff gigantischer Verwegenheit, diesem grossen
Ratgeber im Kriege, der das Mittel erfand, jenen Feind
auszukundschaften, der aus den Schluchten des Taurischen
Gebirges in Egypten als ein schrecklicher Gegner der
Götter hervortrat? jenen, der uns, weil wir es nimmer
hätten wagen dürfen, ihn offen anzugreifen, die Lehre
gab, uns in Tiere zu verwandeln, um durch Kunst und
Schlauheit dem Mangel unserer natürlichen Wehrkraft *
nachzuhelfen und einen ruhmvollen Triumph über die
feindseligen Gewalten zu erringen. Aber ach! dieses sein
Verdienst ist nicht ohne Unverdienst, diese Wohlthat
nicht ohne böse Zugabe, vielleicht weil es nun einmal
vom Schicksal so bestimmt und vorgeschrieben ist, dass
es keine reine unvermischte Freude, keine Süssigkeit ohne
beigemischte Bitterkeit geben darf, oder aus irgend
welchem anderen Grunde“. — „Nun, was für einen Nach
teil hat er uns denn verursacht“, fragte Zeus, „was für
eine unwürdige Zuthat hat er jenem Triumphe zugesellt?“
Momus antwortete: „Ist er doch schuld, dass die Ägypter
Ö Der Steinbock wurde nach der griechischen Mythologie deshalb
unter die Sterne versetzt, w^eil er Jupiters Milchbruder w r ar und von
jener Ziege stamme, mit deren Milch Jupiter auf Kreta heimlich vor
Saturn auferzogen worden. Auch half er den Göttern im Kampf mit
den Titanen, denen er durch sein plötzliches Erscheinen einen ,.panischen
Schrecken" einjagte; bekanntlich wurde auch Pan mit Ziegenfüssen und
Hörnern dargestellt; überhaupt ist ja der Bock in allen heidnischen
Pteligionen das Symbol der schaffenden Naturkraft, und eben deshalb
durch das Christentum zum Sinnbild des Teufels gestempelt. Nach einer
andeien Version soll Pan, als er von Typhon, dem Dämon der Zer
störung, also dem Teufel des Altertums, in Ägypten verfolgt wrnrde, sich
dieser Verfolgung dadurch entzogen haben, dass er sich erst in die
Gestalt eines Bockes und dann, sich in’s Wasser stürzend, eines Fisches
verwandelte und so den Verfolger täuschte. Vergl. Hygin, astr. poet. e. 28.
Der Steinbock wird daher häufig mit einem Fischleib dargestellt. Auf
beide Mythen spielt Bruno an. Über den esoterischen Kern derselben
siehe Nork, .Vergleichende Mythologie“ p. 27. Das Sternbild zählt 28 Sterne,
wird bei Eratosthenes auch Pan genannt.