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Für Bruno ist die Welt als Ganzes keine zeitlich be
gonnene, sondern eine urewige Schöpfung Gottes; sie ist
Gott, wie er erscheint, nicht zwar als der eine, einfache,,
sondern als der einheitliche in seiner unendlichen Unter
schiedlichkeit. „Nur im Glauben der Einsichtslosen bilden
Gott und die Natur einen Gegensatz.“ *) Wenn es nun Sache
der Religion ist, den Einen, Überweltlichen, Unerkennbaren zu
verehren, so ist es Sache der Philosophie, den in seiner
unendlichen Erscheinungswelt Immanenten nachzuweisen, aus
der „Ursache, dem Anfang und dem Einen“ entweder (deduktiv)
die Wirklichkeit der Daseinsunterschiede zu begreifen oder
von den Unterschieden der Welt, den Einzelheiten aus
gehend, (induktiv) zum Ganzen, zur „Ursache, Anfang und
Einem“ emporzusteigen. Beide Methoden sind philosophisch
gleichermassen berechtigt und notwendig. * 2 ) Die philosophische
Anschauung der Welt ist dreifältig als Erkenntnis des Wahren,
Schönen und Guten. Wahrheit, Schönheit, Güte sind ein
und dasselbe in Gott. Naturphilosophie, Ethik und
Ästhetik müssen daher von Gott ausgehen und zu ihm
zurückkehren. Die letzten unzerlegbaren Allgemeinbegriffe,
von denen philosophische Abstraktion ausgeht oder bei denen
sie Halt macht, sind Materie und Form, Sein und Denken,
Person und Zustand. Im letzten Grunde fallen diese Gegen
sätze in eins zusammen, „der Akt des göttlichen Denkens ist
die Substanz aller Dinge.“ 3 ) „Die Koincidenz der Gegensätze
ist eine Zauberformel der Philosophie.“ 4 )
Die Naturphilosophie geht aus von den Begriffen Materie
und Form. Die Materie nun ist nicht ein rein passives
Etwas, sondern jeder Stoff, und sei es selbst das träge bild
same Wachs, trägt schon eine Form in sich, ist selber schon
eine formende Kraft. Diese der Materie innewohnende Kraft,
ihre immanente Form nennen wir Seele. Die Allmaterie ist
also die Weltseele selber und alles materielle ist beseelt.
„Freilich ist darum der Tisch als Tisch, das Kleid als Kleid,
das Leder als Leder, das Glas als Glas nicht beseelt, aber
’) „Akrotismus“. (Gfrörer 28.)
2 ) Bruno, „Von der Ursache, dem Anfang u. s. w.“ (Wagn. I. 259.)
3 ) „Spaccio delle bestia trionf.“ (Wagn. II. 156.) 4 ) 1. c. W. II. 122.