Sofia: Wir sahen, dass jeder Genuss in nichts anderem besteht,
als in einem gewissen Übergang, in dem Wege und in
der Bewegung zu einem andern Zustand. Zugegeben,
dass der Zustand des Hungerns peinlich und traurig ist,
so ist doch auch der Zustand des Sattseins ohne Ver
gnügen und selbst nicht ohne gewisse Unlust; aber das,
was uns Genuss gewährt, ist der Übergang vom einem
zum andern, der Akt der Sättigung. Die unbefriedigte
Liebesbegierde quält, der gesättigte Liebesgenuss macht
traurig. Was entzückt, ist der Übergang vom einem zum
andern. An keinem gegenwärtigen Zustande findet man
Vergnügen, wenn man nicht des ihm unmittelbar vorher
gegangenen zuvor überdrüssig wurde. Arbeit gefällt nicht,
es sei denn im Beginn gleich nach der Ruhe und Ruhe
gewährt nur unmittelbar nach der Arbeit in ihrem
Anfänge wahren Genuss.
Saulin: Wenn dem so ist, so giebt es ja gar keine Lust
ohne Beimischung von Unlust, denn an der die Lust
bewirkenden Bewegung hat ja ebenso gut dasjenige
seinen Anteil, was die Befriedigung gewähren soll, wie
dasjenige, was uns Unlust bereitet. 1 ) *)
*) Jene reale Bedeutung der Gegensätze, des Antagonismus, die
Sofia betont, wurde bereits von den antiken Philosophen vielfach beachtet,
am meisten betonte ihn Heraklit: JlöÄe/UOg 7TaT),Q JtdvTCOV der Streit
ist der Vater aller Dinge. Das Werden selbst ist eine Einheit der Gegen
sätze Sein und Nichtsein.
Ganz ähnliche Betrachtungen, wie Sofia, lässt Plato seinen Sokrates
im Phaedon III. 60. über den Antagonismus der Empfindungen als Basis
der Lust, anstellen:
..Sokrates richtete sich im Bette auf, krümmte das Bein, das
vorhin gefesselt war, und indem er dasselbe mit der Hand rieb, sprach
er: ,0, Freunde, welch ein seltsames Ding scheint das zu sein, was die
Menschen angenehm nennen! Dem ersten Anblicke nach ist es dem Un
angenehmen entgegengesetzt, indem keine Sache den Menschen zu gleicher
Zeit angenehm und unangenehm sein kann; und dennoch kann niemand
eine von diesen Empfindungen durch die Sinne erlangen ohne unmittelbar
darauf die entgegengesetzte zu fühlen, als wenn sie mit beiden
Endenaneinander befestigtwären/ Hätte Aesopus dieses
bemerkt, so hätte er vielleicht folgende Fabel gedichtet:
,,Die Götter wollten die streitenden Empfindungen mit
einander vereinigen; als aber dieses sich nicht thun
liess, knüpften sie dieselben an beiden Enden zusammen
und seit der Zeit folgen sie sich beständig auf dem Busse
nach.“ So ergeht es auch mir jetzt. Die Fessel hatten mir Schmerzen