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Davon will ich schweigen, dass — magst Du nun lachen oder
nicht, — jener innerliche Geometer, welcher Deine Liebessäfte
ausdörrt und Deine Haut den Knochen nähert, Dir auch jene
Figur vier sich schneidender Parallelen auf der Stirn immer
schärfer ausprägt, wodurch er Dir den wahren Weg vorzeichnet,
den er Dich führt, den Weg zum Sterben!
„Was weinst Du, Venus, warum lachst Du, Momus,“
sagte er nun, als er sah, dass dieser die Zähne zeigte und
jene Tränen vergoss.
„Auch Momus weiss es, wie einer jener Narren, deren
jeder den Ohren des Herrschers mehr Wahrheiten zuführt, als
der ganze übrige Hof zusammen, und durch den meistens die
jenigen, welche selber nicht zu reden wagen, unter dem Schein
des Scherzes ihre Vorschläge Vorbringen und in Bewegung
setzen, erzählte, Äskulap habe Dir ein Pulver aus Drachenmark
und Korallen bereitet, und beim Reiben derselben zwei Mühl
steine verdorben, so dass es jetzt kein Sternchen mehr im
Himmel giebt, das es nicht wüsste. Du siehst also, meine
teure Schwester, wie uns die verräterische Zeit besiegt und
wie wir alle der Veränderung unterliegen; — und was uns am
meisten betrübt, ist eben, dass wir gar keine Gewissheit und
Hoffnung haben, eben das Dasein zurückzubekommen, in dem
wir uns so lange glücklich fühlten. Wir gehen und kehren
nicht als dieselben wieder, und wie uns die Erinnerung dessen
fehlt, was wir waren, bevor wir in dieses Dasein traten, ebenso
haben wir auch kein Vor wissen dessen, was wir nach diesem
Dasein vrerden.
So siehst Du die Furcht, die Pietät, die Religion, die Ehre,
die Achtung und Liebe, die man uns zollte, mit der Kraft, der
Vorsehung und Tugend, der Würde, Majestät und Schönheit, die
von uns fliehen, nicht anders als Schatten, die ihrem Körper
folgen, dahingehen.
Die Wahrheit allein mit der absoluten Tugend
ist unveränderlich undunsterblich, und wenn sie auch
zuweilen zu straucheln und zu sinken scheint, so taucht sie doch
notwendig stets als dieselbe wieder auf, wenn ihre Magd, die
Weisheit, ihr den Arm reicht.