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B. Die Ergebnisse der astrophysikalischen Forschung
Die Fleckenbildung findet durchaus nicht an allen Stellen der Sonnen
scheibe statt; sie ist vielmehr fast vollständig auf zwei Zonen beschränkt,
nämlich auf die Gürtel von etwa 10° bis 30° nördlicher und südlicher helio-
graphischer Breite. Flecken außerhalb dieser Zonen sind seltene Erschei
nungen, und in höherer Breite als 50° dürfte überhaupt wohl noch kein
Fleck beobachtet worden sein.
Von besonderem Interesse ist die Bewegung der Flecken. Im allgemeinen
rücken sie in Kreisen parallel zum Sonnenäquator von Osten nach Westen
fort; sofern sie sich nicht auf der sichtbaren Scheibe entwickeln, tauchen sie
am Ostrande derselben auf, um am Westrande zu verschwinden, und bei be
ständigeren Flecken kann man zuweilen eine mehrfache Wiederholung dieser
Erscheinung beobachten. Es ist aus der Art dieser Bewegung ohne weiteres
zu schließen, daß sie eine Folge der Rotation der ganzen Sonnenkugel ist,
die in bezug auf die Erde in etwa 27 Tagen vor sich geht, während die
siderische Rotationsdauer ungefähr 25 Tage beträgt. Die Umdrehung erfolgt
dabei um eine Achse, die gegen die Normale auf der Ekliptik um 7° geneigt
ist. Infolge der Lage der Knotenlinie ist Anfang Juni bis Anfang Dezember
der Nordpol, in der Zwischenzeit der Südpol der Sonne nach der Erde zu
gerichtet.
Im einzelnen zeigen die Bewegungen der Sonnenflecken große Unter
schiede, indem diese häufig ihren Ort sowohl in Breite als auch in Länge ver
ändern. Über die Bewegungen in Breite ist man noch recht im unklaren;
bestimmte Gesetzmäßigkeiten sind bisher nicht mit Sicherheit nachgewiesen
worden. Die Veränderungen sind im allgemeinen klein, doch sind auch
Beispiele beträchtlicher Breitenveränderungen bekannt; so hat ein Fleck, den
Bianchi im Jahre 1866 während 5 Rotationsperioden der Sonne beobachten
konnte, in dieser Zeit seinen Ort von 6 ° 26 bis 14° 57' heliographischer
Breite verlegt. Secchi hat hiernach die Geschwindigkeit der Breitenänderung
dieses Flecks zu etwa 800 km pro Tag berechnet.
Auch die Bewegungen in Länge zeigen Unregelmäßigkeiten, immerhin
hat sich trotz aller dieser Abweichungen die feststehende Tatsache ableiten
lassen, daß die Rotationsgeschwindigkeit der Flecken keine konstante ist,
sondern in starkem Maße von der heliographischen Breite abhängt, in dem
Sinne, daß die Rotationsdauer mit wachsender nördlicher oder südlicher
Breite zunimmt. Es ist das ein Resultat von besonderer Wichtigkeit, da es
lehrt, daß diejenigen Stellen der Photosphäre, die durch die Flecken ge
kennzeichnet sind, nicht wie eine feste Oberfläche rotieren, d. h. daß die
Photosphäre selbst nicht als eine feste Begrenzungsschicht der Sonne aufzu
fassen ist. Das theoretische Gesetz, nach dem die Verzögerung der Rotation
mit zunehmender Breite vor sich geht, ist nicht bekannt; man hat sich bisher
damit begnügen müssen, empirische Formeln abzuleiten, die die Beobach
tungen möglichst gut darstellen. Fast alle bekannten Sonnenforscher haben
derartige Formeln auf Grund der Ausgleichung eines bestimmten Beobach
tungsmaterials aufgestellt. Eine der neuesten ist diejenige von Kempf, die
sehr nahe dem Mittel aller früheren entspricht und besonders für die noch
zu besprechenden Fackeln und Kalziumflocken gilt. Sie lautet:
i = 14.44°- 2.62° sin 2 b ,