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B. Die Ergebnisse der astrophysikalischen Forschung
die Intensität der Koronalinien — man zählt gegenwärtig mindestens zehn
Emissionen von Rot bis Ultraviolett — einem starken Wechsel unterworfen
zu sein. Außer diesen Linien zeigt das Koronaspektrum auch die Wasserstoff-,
Helium-, Kalzium- und Magnesiumlinien, so daß eigentlich ein spezifischer
Unterschied zwischen Chromosphären- und Koronaspektrum kaum gemacht
werden kann. Der Unterschied wird noch geringer, wenn man bedenkt, daß
auch die Chromosphäre ein merkliches kontinuierliches Spektrum besitzt.
Dieses tritt aber neben den überaus hellen Chromosphärenlinien stark zurück,
während in der Korona die drei Spektra an Lichtstärke nicht sehr verschie
den sind und sich daher durch gegenseitige Überlagerung stören und ver
wischen. Wegen des innigen Zusammenhangs zwischen Chromosphären-
und Koronaspektrum ist es schwierig, die eigentlichen Koronalinien von den
übrigen zu trennen und zu entscheiden, ob sie alle demselben Stoffe an
gehören wie die Linie im Grün oder nicht.
Von unserer sehr wenig ausgedehnten Atmosphäre wissen wir, daß sie,
von den äußersten Gebieten vielleicht abgesehen, an der Rotation der Erde
teilnimmt; es ist eine Frage von großem Interesse, ob dies bei der Sonnen
atmosphäre auch stattfindet, bzw. bis zu welcher Höhe derselben dies ge
schieht. Daß in den tieferen Gegenden, in denen sich die Chromosphäre
und die Protuberanzen befinden, die Atmosphäre an der Rotation teilnimmt,
ist aus den direkten Beobachtungen ersichtlich; inwieweit das aber für die
äußere Korona gültig ist, bleibt noch eine offene Frage. Unter Benutzung
des DopPLERschen Prinzips kann man aus etwaigen Verschiebungen der
Linien an den verschiedenen Stellen der Korona Schlüsse ziehen; aber die
Untersuchung ist nicht so einfach, da bei der großen Durchsichtigkeit der
Korona diejenigen Lichtstrahlen, die man an irgendeiner Stelle beobachtet,
teilweise noch von den äußersten Stellen der Korona herrühren, die davor
bzw. dahinter liegen, so daß hierdurch eine Verwaschenheit und Verbreite
rung der Koronalinien entsteht. Deslandres hat bei der Sonnenfinsternis
vom 16. April 1893 derartige Messungen bei einem Abstande von 3' bis 10'
vom Sonnenrande an Kalziumlinien angestellt und als Geschwindigkeits
differenz dieser Stellen zwischen Ost- und Westrand den Betrag von 6.8 km
gefunden. Spätere Messungen von Campbell und Belopolski haben das
Ergebnis bestätigt; danach nimmt also wenigstens die innere Korona an
der Sonnenrotation teil.
14. Die Sonnentheorien.
Die Ansichten, welche im Laufe der Zeiten über die Konstitution der
Sonne geäußert worden sind, entsprechen den jeweiligen allgemeinen phy
sikalischen Kenntnissen und geben ein ungemein anschauliches Bild von der
Entwicklung der ursprünglich naturphilosophischen und später exakt-wissen
schaftlichen Betrachtungen. Der gewaltige Aufschwung in der allgemeinen phy
sikalischen Erkenntnis, der um die Mitte des vorigen Jahrhunderts stattfand
und in theoretischer Beziehung durch das Gesetz von der Erhaltung der Kraft
und den Aufbau der mechanischen Wärmetheorie, in praktischer Hinsicht durch
die Begründung der Spektralanalyse charakterisiert ist, spiegelt sich auch auf das
deutlichste in den damals entstandenen verschiedenen Sonnentheorien wider.