I. Physikalische und physiologische Grundlagen
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Die Übertragung dieser an der Wasseroberfläche gemachten Erfahrungen
auf die Strahlung im Raume führt zu dem Satze: Die von verschiedenen strah
lenden Punkten kommenden Wellenflächen pflanzen sich ohne gegenseitige
Hinderung durch den Raum fort. Die Bewegung der einzelnen Ätherteilchen
regelt sich nach dem oben ausgesprochenen Prinzip, welches das Summa
tionsprinzip heißt und in der Optik zu den interessanten und wichtigen Er
scheinungen der Interferenz führt. Es möge hier eingeschaltet werden, daß
die Interferenzerscheinungen gerade diejenigen sind, die bisher als sicherster
Beweis für die Schwingungstheorie des Lichtes angesehen worden sind.
Wir haben bis jetzt angenommen, daß die Strahlung sich geradlinig im
Raume fortpflanzt. Es können aber Umstände eintreten, unter denen diese ein
fache Annahme nicht mehr richtig ist. Denken wir uns in die Strahlung eines
Punktes einen mit scharfer Kante versehenen undurchlässigen Metallschirm
eingeschaltet, so müßte hinter dem Schirme, unmittelbar an der Kante nur
Schatten herrschen, d. h. es dürfte hinter dem Schirme Strahlungsenergie in
keiner Weise vorhanden sein. Das Experiment lehrt aber das Gegenteil; auch
hinter den Schirm gelangt Strahlung; es findet scheinbar eine Beugung oder
Diffraktion der sonst geradlinigen Strahlen an der Schirmkante statt. Auch
diese Erscheinungen sind sowohl für die Theorie der Strahlung als auch für
unsere späteren Betrachtungen von hoher Bedeutung, und wir werden noch
ausführlicher auf dieselben zurückkommen müssen. Hier sei nur so viel be
merkt, daß die Beugungserscheinungen durch das nach seinem Entdecker be
nannte HuYGHENSsche Prinzip zu erklären sind. Danach ist die durch Strah
lung hervorgerufene Schwingung eines Ätherteilchens als Ausgangspunkt einer
neuen Strahlung aufzufassen, so daß jeder Punkt des durch Strahlung erreg
ten Äthers als Zentrum neuer kugelförmiger Wellenflächen erscheint, die sich
nach allen Richtungen hin ausbreiten.
Das Strahlungsproblem haben wir bisher in den gröbsten Zügen behan
delt, auch haben wir vorausgesetzt, daß die Strahlung im leeren Raume vor
sich geht, also bis auf den Diffraktionsschirm unbeeinflußt ist durch ponde-
rable Materie. Es müssen jetzt verschiedene weitere Punkte in Betracht ge
zogen werden, und dabei werden wir häufig von den bekannten Erscheinun
gen der Schallschwingungen Gebrauch machen können.
Eine Stimmgabel gibt beim Anschlägen nur einen einzigen Ton von ganz
bestimmter Höhe von sich. Einen solchen Ton nennt man einen reinen oder
homogenen Ton. Auf einer Trompete z. B. kann derselbe Ton erzeugt
werden; wir hören deutlich, daß er genau dieselbe Höhe hat wie der Ton
der Stimmgabel, also auch dieselbe Schwingungszahl, und doch klingt er
ganz anders als der Stimmgabelton. Er ist eben kein homogener Ton mehr,
sondern die Trompete entsendet außer den Hauptschwingungen, welche die
Tonhöhe bedingen, noch andere, schwächere Schwingungen, deren Gesamt
wirkung die Klangfarbe des Tones bedingt, die bei den verschiedenen In
strumenten eine verschiedene ist.
Die entsprechenden Erscheinungen sind nun auch bei der Strahlung vor
handen; hier ist es vornehmlich der Aggregatzustand, von dem die Art der
Schwingungen abhängt. Den Ausgangspunkt der Strahlung bilden nach der
heutigen Auffassung gewisse periodische Vorgänge im Atominneren, die
sich nur dann störungsfrei entwickeln können, wenn das Atom isoliert ist.