V. Die Sonne
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sich die Chromosphäre als eine Atmosphäre vorzustellen, welche aus Dämp
fen von Elementen wie Eisen, Kalzium, Titan besteht. Wahrscheinlich be
sitzt die Sonne nur eine Atmosphäre aus Wasserstoff und Helium und
einigen anderen permanenten Gasen, die vielleicht an der Oberfläche von
beträchtlicher Dichtigkeit sein mag, aber schnell abnimmt, bis sie in einer
Höhe von einigen hundert Kilometern nicht dichter ist als die Erdatmosphäre
in der Meereshöhe. In dieser Atmosphäre befinden sich andere Elemente
nicht als ständige, sondern nur als zeitweise vorhandene, von Eruptionen,
Meteoren u. dgl. herrührende Bestände. Ein Teil dieser Elemente befindet sich
in gasförmigem Zustand und verursacht die Emissionslinien am Sonnenrande
und die dunklen FRAUNHOFERSchen Linien.
Die Korona ist nach Jewell zu ihrem größeren Teile aus staubähnlichen
oder meteorischen Massen zusammengesetzt; in ihren inneren Teilen be
finden sich jedoch auch Gase, welche helle Linien geben. Einige dieser Gase
erstrecken sich zu großer Ausdehnung und verteilen sich ziemlich symme
trisch um die ganze Sonne herum, andere sind wesentlich auf Breiten be
schränkt, die den Fleckenzonen entsprechen. Andere Koronalinien reichen
nur bis zu kleinen Abständen vom Sonnenrande.
Die Bedeutung der JEWELLschen Ansichten ist wesentlich in der Beto
nung der äußersten Verdünntheit der Elemente in der Sonnenatmosphäre zu
suchen, und er geht hierin nicht zu weit, wenn man z. B. bedenkt, daß be
reits eine Anzahl Kometen (1843 1, 1880 1, 1882 II u. a.) bei ihrer Sonnen
nähe die Korona ohne nachweisbare Störung der Bahn passiert hat.
Nach den neueren Ansichten über die Feinheit der Koronagase wird
man kaum noch an ein Glühen der festen Teilchen durch Reibung denken
können; wahrscheinlicher ist die Ansicht von Scheiner, der dieses Glühen
auf die direkte Wärmestrahlung der Sonne zurückführt. Unter gewissen Vor
aussetzungen läßt sich nach den Strahlungsgesetzen die Temperatur an der
Grenze der Korona etwa zwischen 1400° und 3600° einschließen. Hieraus
folgt, daß selbst in den entfernteren Gegenden der Korona feste Körperchen
durch die Sonnenstrahlung eine Temperatur erreichen können, die weit über
der Glühtemperatur liegt. Ob man, wie dies von Jewell u. a. vielfach ge
schehen ist, die festen oder flüssigen Partikel der Korona als meteorische
Massen auffassen soll, dürfte fraglich erscheinen.
Untersuchungen über die Form der Korona bzw. über die Ursachen,
welche ihre Form bedingen, haben sich vorwiegend mit der strahligen
Struktur der Korona zu befassen, da dieselbe durchaus charakteristisch ist.
(Abb. 159).
Schaeberle betrachtet die Strahlen der Korona als Ströme von ausge
stoßener Materie, die sich infolge stärkerer Anfangsgeschwindigkeiten be
trächtlich weiter als die Protuberanzen von der Oberfläche entfernen können.
Übersteigt die Anfangsgeschwindigkeit ungefähr 600 km in der Sekunde und
ist die Reibung in der Atmosphäre zu vernachlässigen, so entziehen sich die
ausgestoßenen Massen überhaupt der Anziehung der Sonne und gehen ins
Unendliche weiter.
Die Korona ist nach Schaeberle durch Licht verursacht, das von Strö
men ausgestoßener Massen reflektiert wird. Die betreffenden Kräfte sind am
meisten in der Mitte der Fleckenzonen wirksam. Infolge der Rotation der