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B. Die Ergebnisse der astrophysikalischen Forschung
liegt es keinem Zweifel, daß von den beiden Annahmen eines physischen
oder Temperaturunterschiedes die Zugrundelegung verschiedener Tempera
turen die näherliegende ist.
Ein weiteres Kennzeichen dafür, wie wenig die Spektrallinien ein Stern
individuum charakterisieren, bieten die sog. Neuen Sterne. Wir werden später
sehen, daß hier bei dem Auf- und Wiederabstieg in wenigen Tagen und
Wochen die Spektralklassen F, A, B, O, P mit gleichzeitigem enormen Tem
peraturgang durchlaufen werden. Jede Periode ist durch die Linien eines
anderen Elementes charakterisiert, und doch handelt es sich um ein und das
selbe kosmische Individuum.
Die Entwicklung der Sterne. Mit der Frage nach der Temperatur der
Sterne hängt diejenige nach ihrer Entwicklung im Laufe der Jahrmillionen
innig zusammen. Daß die Sterne nicht für alle Zeiten ihren Temperatur
charakter beibehalten können, sondern allmählich erkalten müssen, lehrt am
besten das Antlitz der Erde und des Mondes, von denen die erste in ihrem
Inneren, der letzte auf seiner Oberfläche noch deutlich die Spuren der ehe
maligen Sternnatur trägt. Man könnte nur nach den Schwierigkeiten, die
uns bereits die Erhaltung der Sonnenenergie bereitet hat, die Frage stellen,
ob es überhaupt Sinn hat, in der spektralen Reihenfolge der Fixsterne auch
irgendwelchen zeitlichen Entwicklungsgang zu erblicken.
An und für sich ist der Evolutionsgedanke auf Grund einer Temperatur
abnahme der natürlichste und einfachste, da er unmittelbar auf der Erfah
rung fußt, daß ein heißer Körper, der sich selbst überlassen bleibt, allmählich
durch Ausstrahlung abkühlt. Aber es ist wohl zu bedenken, daß die Fix
sterne nicht einfache Körper sind, deren Temperatur durch Wärmeverlust
unter allen Umständen heruntergeht, sondern kompliziert gestaltete Gas
kugeln, die sich vollständig anders verhalten können.
Unter Zugrundelegung der Kant-Laplace sehen Entwicklungstheorie muß
der ganze jetzige Energievorrat des Sonnensystems nebst dem inzwischen
durch Ausstrahlung verloren gegangenen Betrage in einem sehr ausgedehn
ten, mit sehr verdünnter Materie erfüllten Raume in nahe gleichförmiger
Verteilung vorhanden gewesen sein, dessen äußere Temperatur nur wenig
über der Temperatur des Weltalls gelegen haben kann. Durch Kontraktion
hat sich hieraus der jetzige Zustand entwickelt, d. h. der bei weitem größte
Teil der ursprünglichen Materie ist jetzt in einem relativ sehr kleinen Raume
bei sehr hoher Temperatur vereinigt. Die Kontraktion ist also sicherlich nicht
nur genügend zur Erhaltung der ursprünglichen Temperatur gewesen, son
dern sie hat trotz des Wärmeverlustes eine bedeutende Erhöhung der Tem
peratur im Gefolge gehabt. Wird diese Annahme aber zugestanden, so muß
füglich angenommen werden, daß auch nach der Kontraktion der Materie zu
einem Sterne die Temperatur nicht sogleich zu fallen beginnt, sondern erst
eine Weile im Aufstieg oder mindestens auf gleicher Höhe verweilt.
Über die hier in Frage kommenden Verhältnisse hat eine ganze Reihe
namhafter Physiker und Astronomen, wie Helmholtz, Russell, Edding-
ton und andere, eingehende Untersuchungen angestellt, die theoretisch
außerordentlich interessant sind. Wir haben bei der Sonne in erster Linie
die Helmholtz sehe reine Kontraktionstheorie berücksichtigt, weil sie lange
Zeit hindurch als die nächstliegende schien. Hier wollen wir etwas näher