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B. Die Ergebnisse der astrophysikalischen Forschung
Wenn man nun einmal die Spiralnebel als Sternhaufen auffaßt, so läßt
sich eine verständlichere, natürlich gleichfalls nur sehr rohe Schätzung des
Minimalabstandes eines fernstehenden Milchstraßensystems vielleicht folgen
dermaßen anstellen.
Die Milchstraße erscheint dem unbewaffneten Auge etwa so, wie die
meisten Spiralnebel in den kräftigsten Fernrohren, d. h. als ein unauflösbarer
nebliger Schimmer. Wie wir sahen, muß man hier bis mindestens 14 m , d. h.
von dem Schwellenwert des Auges (6 m ) mindestens um 8 Größenklassen
heruntergehen, falls man einzelne Gebiete, z. B. die Scutumwolken, in Einzel
sterne auflösen will. Wenn uns also in Fernrohren, die günstigsten Falles
Sterne 16 m erkennen lassen, der Andromedanebel noch vollkommen milchig
und neblig erscheint, so ist kaum zu erwarten, daß die ihn mutmaßlich zu
sammensetzenden Sterne heller sind als 24. Größe. Wahrscheinlich liegen sie
in der Helligkeitsskala noch merklich tiefer. Nach dem Spektrum und allen
bisherigen Erfahrungen würden die sich zuerst herauslösenden Sterne des
Andromedanebels wieder Giganten der G-Klasse sein. Hieraus ergeben sich
aber als Minimum der Entfernung 1% Millionen Lichtjahre!
Das sind Ziffern, wie sie sich vor kurzem noch kein Astronom hat träu
men lassen, und die man jedenfalls nicht ohne sorgfältige Kritik als zu Recht
bestehend ansehen wird. Sollten die Ergebnisse eine weitere Stütze oder
gar Bestätigung erfahren, die Grenzen der sichtbaren Welt also tatsächlich
so außerordentlich weit reichen, so könnte manche kühne Phantasie, die
schon im Anschluß an diese Arbeiten geäußert worden ist, an Boden ge
winnen. Haben wir erst eines Tages genügend zahlreiche, gleichartige Welt
systeme entdeckt, die tatsächlich im Raum um Millionen von Lichtjahren
auseinander liegen, so reicht mit einem Male unser Blick um die gleiche Zeit
in die Vergangenheit zurück. Es könnte Vorkommen, daß uns einzelne Spiral
nebel so erscheinen, wie sie vor 2, andere, wie sie vor 10 Millionen Jahren
ausgesehen haben, d. h. in dem Augenblick, als sie der Lichtstrahl verließ.
Der Unterschied von 18 Millionen Jahren könnte aber möglicherweise auch
in der Entwicklung eines Milchstraßensystems ein nicht ganz zu vernach
lässigendes Zeitintervall bilden. Unter Voraussetzung einer gleichartigen
Entwicklung würde es auf diese Weise möglich sein, einen Einblick
in die nach vielen Jahrmillionen zählende Entwicklungsgeschichte der Stern
systeme zu erhalten, trotzdem das menschliche Leben, ja selbst die ganze
Entwicklungsgeschichte des Menschengeschlechts auf der Erde gegenüber
diesen Zeitspannen nur als ein überaus kurzer Augenblick erscheint. Von
diesem etwas phantastischen Ziele sind wir natürlich noch weit entfernt; die
Möglichkeit von künftigen Schlüssen in dieser Richtung läßt sich jedoch heute
kaum noch bestreiten.