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Die Abbildung L, Fig. 177 erläutert die perspek
tivischen Eigenschaften eines Spiegelbildes auf einer
wagerechten und ebenen Wasserfläche. Auf dieser
sind die Fußpunkte aller sich spiegelnden Objekte
angegeben und die Fluchtrichtungen von diesen
Projektionen auf der Wasserebene laufen zu den
Fluchtpunkten der gesamten perspektivischen Kon
struktion. Dann sind alle perspektivischen Abstände,
also die senkrechten Höhen der Objektpunkte von
den Fußpunkten auf der Wasserfläche nach unten
verdoppelt, wodurch die entsprechende Lage der
Punkte im Spiegelbilde festgelegt wird. Die Ver
bindung der Punkte ergibt das fertige Spiegelbild,
dessen Fluchten die perspektivisch gleichen sind,
wie die für alle Linien des Objektes.
Die wunderbare perspektivische Eigentümlich
keit eines Spiegelbildes, daß es auch Flächen, die
dem Beschauer so ohne weiteres nicht sichtbar sind,
z. B. Untersichten von Brücken, wie in Fig. 178 ge
zeichnet, diesem zu Gesicht bringt, wird durch die
zurückgeworfenen Lichtstrahlen bedingt. Die physi
kalisch-optische Erklärung einer solchen Spiegelung
ist in der vorstehenden Fig. 231 durch Linien ge
geben, die den Beweis dafür erbringen sollen, daß
es die reflektierten Lichtstrahlen sind, die das
scheinbare Bild in der Tiefe des Wassers dem Be
schauer vorspiegeln. Auf der Ufermauer am Ge
länder befindet sich eine Person, unter der Brücke
eine Person im Nachen. Beide können sich un
mittelbar nicht sehen; dennoch erblicken sich Beide
durch Vermittelung des Spiegelbildes. Das ist da
durch ermöglicht, daß Lichtstrahlen von allen
Körperteilen der ersten auf die Wasserfläche fallen
und von dieser unter demselben Winkel zurück
geworfen werden, auf die Augennetzhaut der zweiten
Person gelangen und so dieser das Bild der ersten
übermitteln. Umgekehrt werden alle Lichtstrahlen
der zweiten, die unter gleichem Auf- und Rückstrahl
winkel auf der Wasserfläche an die Netzhaut der
ersten gelangen, dieser die Figur der zweiten sicht
bar machen. Und zwar muß das Reflexbild ein
umgekehrtes sein, da die Lichtstrahlen von den
Füßen in der Linienrichtung höher reflektiert zu
den Augen gehen, als die Lichtstrahlen vom Kopfe
in der Richtung, die wohl die Wasserfläche weiter
nach den Augen zu treffen, aber dafür tiefer zu
ihnen gehen.
Beide Beschauer erhalten also das gegenseitige
Reflexbild nur bei abwärts gerichtetem Blicke und
sehen daher in der Richtung, in der sie die Reflex
strahlen empfangen, das Bild des anderen scheinbar
unter der Wasserfläche, die Füße nach oben, den
Kopf nach unten gerichtet. Auf diese Weise ist es
auch möglich, daß erstere den Nachen und die
Brückenuntersicht durch die Reflexstrahlen als
Spiegelbild zu sehen bekommt.
Besondere Beachtung ist der konstruktiven
Projektion von Neigungslinien im Spiegelbilde ge
schenkt, wie in der Fig. 177 an dem oval geformten
Kanalausflusse in der geneigten Böschungsmauer
näher gezeigt ist. Eine Neigungslinie ist an und
für sich in der Spiegelung dadurch leicht zu er
mitteln, daß die senkrechten Abstände beider End
punkte der Neigungslinie in der Entfernung von
der Spiegelfläche aufgesucht und diese Abstände
nach unten senkrecht abgetragen werden. In dieser
Weise sind die sämtlichen Punkte des um das Oval
gelegten Liniennetzes, sowie die Stoßfugen der Ufer
mauer im Spiegelbilde konstruiert, wie aus den
Projektionen von ab c d usw. ersichtlich ist.
Wenn auch Objekt und Spiegelbild sich als ein
heitliche perspektivische Darstellung mit den gleichen
Konstruktionspunkten kennzeichnen, so ist doch
betreffs der Schattenfluchtpunkte eine Abweichung
zu vermerken. Da sich die Schattenpunkte der
Objekte auch genau so tief unter oder hinter der
Spiegelfläche spiegeln, als sie über oder vor ihr
liegen, so müssen auch die betreffenden Lichtpunkte
als Fluchtpunkte von horizontalen und Neigungs
linien genau so weit von der Fluchtspur der Spiegel
fläche nach deren Tiefe zu liegen, als die eigent
lichen Lichtpunkte vor ihr liegen. Bei einer horizon
talen Spiegelfläche ist demnach der L'.-punkt als
gemeinschaftlicher Lichtpunkt für die horizontalen
Lichtrichtungen der Körper- und auch der Spiegel
perspektive zu betrachten, während der L".-punkt
genau so weit in entgegengesetzter Richtung vom
Horizonte anzunehmen ist, als seine Lage von L' im
Abstande beträgt.
Aus dem vorliegenden Beispiele ist ersichtlich,
daß das Spiegelbild der Brücke bedeutend umfang
reicher in die Erscheinung tritt, als das Objekt
selbst, was dadurch hervorgerufen wird, daß die
Brücke selbst nur in den Ansichten sichtbar ist,
während im Spiegelbilde außer diesen auch noch
ihre Untersicht wahrgenommen wird. Diese Eigen
tümlichkeit bildet oft Anlaß zu Fehlern, die beim
Zeichnen des Spiegelbildes von überhängenden, also
weit auskragenden Objekten gemacht werden. Wie
man es richtig zeichnet zeigt nachstehende Fig. 232
an zwei am Wasser stehenden Bäumen die stark zu
diesem geneigt, also in perspektivisch fallender
Richtung zum Wasserspiegel stehen. Eine mensch
liche Figur, die senkrecht zwischen den Bäumen
steht, ragt scheinbar mit ihrem Kopfe weit über den
Stamm des vorderen Baumes hinaus. Im Spiegel
bilde dagegen ist dieses letztere Verhältnis umge
kehrt, die Baumspiegelung ragt bedeutend über die
der Figur hinaus und doch sind beide in Wirklich
keit beinahe in gleicher Höhe.
In diesem Falle ist es die Linienperspektive, die