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scheinen, dabei ist es aber unvermeidlich, den Ob
jektivabstand kurz zu nehmen. Das hat dann zur
Folge, daß nur die halbe Figur auf dem Bilde in
günstiger Darstellung erscheint, weil durch die
Nahaufnahme sowohl die Hände, als auch die
unteren Körperteile und die Bodenfläche unter dem
perspektivischen Einflüsse nicht günstig wirken
würden. Einesteils werden Hände und Kleid näher
und daher umfangreicher, größer, und anderenteils
wird der Boden stark nach vorn stürzend erscheinen.
Alle Objekte mit größeren Ausdehnungen werden
mit einem kleineren Bildwinkel besitzenden Objektive
aufgenommen, günstig wirken, z. B. ein Kirchenbau,
um die großen Flächen und Höhenausdehnungen
des Gebäudes übersichtlich aufs Bild zu bringen,
und um andererseits nicht mit weitem Objektiv
abstande die Dachflächen und Tiefenentwickelungen
zu stark perspektivisch verkürzt zu erhalten und
auch ein Stürzen der vorderen Bodenflächen zu
vermeiden.
Der Standpunkt, den man zwecks einer photo
graphischen Aufnahme wählt, ist für die künstle
rische bildmäßige Wirkung von größter Wichtigkeit.
Es ist aber etwas ganz anderes, der Standpunkt,
den ein Beschauer einnimmt, um so mit seinen Augen
die bildmäßig günstigste Wirkung des Objektes zu
empfangen, und der Standpunkt, den der Apparat
mit seinem Objektive einnimmt, um dasselbe Objekt
im Bilde auf die Platte zu bringen. Man muß stets
bei den vielgestalteten Objekten mit den Linsen
rechnen, zumal nicht immer die zu besonderem
Zwecke geeigneten Objektive zur Verfügung stehen.
Da häufig nur ein Apparat mit kurzer Brennweite,
oder umgekehrt, nur einer mit großer Brennweite
in Frage kommt, so ist es dann nötig, sich beim
Photographieren eines Gegenstandes ganz nach der
Brennweite seines Objektives zu richten. Dabei kann
es Vorkommen, daß beim Einstellen des betreffenden
Objektes mit dem Bestreben, es ganz aufs Bild zu
bekommen, dieses selbst zu klein erscheint und die
Bildwirkung damit vollkommen verloren geht, oder
daß, wenn der Apparat näher an das Objekt heran
gerückt wird, nur Hauptpartien des Objektes zu
sehen sind, seitliche Teile von ihm gar nicht mit
aufs Bild gelangen und dieses so starke perspek
tivische Verkürzungen auf weist, daß augenscheinlich
von einer künstlerischen und mustergiltigen Dar
stellung nicht die Rede sein kann. Es werden sich
jedenfalls, wenn nicht eine ganze Serie von ver
schiedenen Apparaten zur Verfügung steht, fort
während der künstlerischen Bildwirkung Hindernisse
entgegenstellen. Die einzelnen Objekte verlangen,
daß ihnen die entsprechenden Standpunkte ange
wiesen werden; denn ein Objektiv mit kurzer Brenn
weite eignet sich nicht für Nahaufnahmen, weil dabei
die perspektivischen Verkürzungen zu stark sind;
ein Apparat mit solchem Objektive dürfte in der
Regel nur bei weiterem Abstande bildmäßige und
künstlerische Darstellungen erzeugen, dabei aber
die Objekte in verhältnismäßiger Verkleinerung
wiedergeben.
Ein Apparat mit Objektiv von größerer Brenn
weite ist daher für die perspektivische Wirkung bei
Aufnahmen naher Objekte bedeutend günstiger, weil
die Linien nicht so stürzen, die perspektivische
Flächenwirkung nicht verzerrt erscheint und das
Objekt sich in einer entsprechenden Größe stets der
bildmäßigen Wirkung anschließt. Dem folgend ist
es durchaus zu empfehlen, um mit ein und derselben
Kamera allen Anforderungen begegnen zu können,
sich mehrere Objektive von kürzerer, mittlerer und
größerer Brennweite, oder ein Objektiv mit aus
wechselbaren Linsen anzuschaffen, wie schon vorher
erwähnt.
Das Messen der photographischen Bild
objekte.
m aus einer Photographie die Größen,
Entfernungen und Höhenlagen zu er
kennen, bedarf es gewisser Anhalts
punkte, ohne die es sonst schier un
möglich ist, bestimmte Schlußfolge
rungen zu ziehen.
Diese Anhaltspunkte können ver
schieden sein; ein ziemlich sicherer
Maßstab ist zunächst in der menschlichen Figur zu
finden. Die Größe eines aufrecht stehenden Menschen
schwankt meist zwischen 160—180 cm, sie ist deshalb
durchschnittlich mit 1,70 m als Normallänge anzu
nehmen. Gebäude geben nur einen ungefähren An
halt, der wegen der oft sehr verschiedenen Stock
werkshöhen schon bedeutend unsicherer ist. Auch
die Fensterhöhen und Breiten sind von sehr ver
schiedenartigen Abmessungen; dagegen sind die
Höhen von Stufen meist ein zuverlässiges Maß. Die
Stufen von Außentreppen im Freien haben gewöhn
lich eine Höhe von 0,16—0,16 fi m, die der inneren
Treppen 0,16 6 —0,17 m, und nur Bodentreppen und
Stufen zu Podien 0,18 — 0,20 m Höhe.
Man nimmt deshalb gewöhnlich drei Stufenhöhen
zu 0,50 m an, die Sitzhöhe eines Stuhles oder einer
Bank ebenfalls zu 0,50, die Höhe eines Tisches zu
0,75 m; die normale Höhe einer einflügeligen Tür
2,20 m, einer Fensterbank zu 0,75 m u. s. w. Das
Messen an einer Photographie wird nun dadurch
bewerkstelligt, daß der gefundene Größenanhalt
nicht nur unter Berücksichtigung der perspektivischen
Linienkonstruktion, sondern auch unter ihrer Bei
hilfe sowie Benutzung der Fluchten auf die zu
messenden Objektbilder übertragen wird. Die Fig. 243
zeigt ein solches Projizieren und Messen perspek
tivischer Größen sowie Projektion der Höhen zu
der links- und rechtsseitigen Maßskala. Man kann
so feststellen, daß beispielsweise das Buffet 2,40 m,
die Fenstertraperie 3,25, der Kamin 1,30, die Stand
uhr 2,70 und endlich das Zimmer 4,35 m hoch ist.
Das Meßbild. Das Meßbild ist meist ein photo
graphisches, ein perspektivisch vorhandenes Bild,
das es ermöglicht, die Form und Lage von Objekten
aus ihm zu ersehen. Die geometrischen Abmessungen
der Darstellungen werden durch ein Zurückkon
struieren zu ermitteln gesucht. Dieses, auch Re
konstruktion genannte Verfahren erfordert etliche
Voraussetzungen und auch eine gewisse Kunst, um
die Maße der drei Dimensionen auch einigermaßen
richtig zu treffen.
Diese Voraussetzungen für die erfolgreiche Re
konstruktion eines Bildes sind, daß:
1. das Meßbild scharf in der Zeichnung und nicht
allzuklein im Gesamtbilde sei.
2. auf dem Bilde keine photographischen Ver
zerrungen durch die Objektivaufnahme ent-