Full text: Neues Lehrbuch der Perspektive

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werden die im Gedächtnisse haften gebliebenen 
Bilder wesentlich voneinander abweichen. 
Das Sehen mit nur einem Auge ist also nicht 
dasselbe wie mit zweien; ein Einäugiger wird das 
schwer empfinden, 
weil er einzelne Ob 
jekte nicht so ohne 
weiteres genau in den 
Tiefenmaßen vonein 
ander unterscheiden 
kann und deshalb erst 
genauer hinsehenmuß, 
um sich zu überzeu 
gen. Die gesehenen 
Gegenstände treten 
nicht so plastisch her 
vor und die perspek 
tivisch - körperliche 
Wirkung wird stark 
beeinträchtigt. 
Wir sind deshalb von der Vorsehung mit zwei 
Augen ausgestattet, um dadurch bestimmter und 
plastischer sehen zu können, als mit nur einem 
Auge. Damit ist es möglich, alle Dimensionen und 
besonders die Entfernungen besser und richtiger 
beurteilen zu können. 
Dieses Voneinanderabweichen der mit beiden 
Augen gesehenen Bilder wird als stereoskopisches 
Sehen bezeichnet, indem beide Bilder, von jedem 
der beiden Augen zugleich gesehen, sich zu einem 
einzigen vereinigen. Es folgt hieraus, daß die bild 
liche Wiedergabe eines Gegenstandes dann für das 
menschliche Auge am natürlichsten erscheinen muß, 
wenn von jenem zwei perspektivische Abbilder ge 
fertigt werden, die von zwei Standpunkten aus kon 
struiert oder photographisch aufgenommen werden, 
und genau soweit in den Augenlinien voneinander 
entfernt sind, wie die Entfernung einer Augenmitte 
von der anderen beträgt. 
Solche Bilder werden Stereoskopbilder genannt 
und sind als photographische Aufnahmen allgemein 
bekannt, besonders wegen der vorzüglichen plas 
tischen Wirkung. Diese Doppelbilder werden in 
den unteren Teil eines Kastens geschoben oder 
finden bei neueren einfachen Apparaten auf einem 
Gestelle Platz, das mit zwei Vergrößerungsgläsern 
ausgerüstet ist, durch die man sie betrachtet, und 
zwar so, daß jedes Auge nur das für sich bestimmte 
Bild erblicken kann. Es ist deshalb eine möglichst 
neutral im Tone gehaltene, gewöhnlich schwarze 
Trennung zwischen den Augengläsern senkrecht zu 
den Bildern erforderlich. Die beiden Konvexlinsen 
bewirken durch die Brechung der Lichtstrahlen, 
daß die beiden Stereoskopbilder als ein einziges 
Bild gesehen werden, das dieselbe plastische Wirkung 
wie in der Natur erzeugt. Die Fig. 247 stellt die Ver 
schmelzung der Sehstrahlen dar, wodurch beide 
Bilder als eins erscheinen. 
Beim Betrachten solcher Stereoskopbilder wird 
mancher schon die unangenehme Entdeckung ge 
macht haben, daß er hie und da Apparate antrifft, 
bei denen es ihm garniclit, oder nur schwer gelingen 
will, die Bilder in seinen 
Augen zu einem einzigen zu • 
vereinigen. Das liegt dann 
daran, daß entweder die 
Augenentfernung nicht mit 
der Brennweite des Objek 
tives im photographischen 
Aufnahmeapparate stimmte, 
oder meistens daran, daß die 
Vergrößerungslinsen nicht 
für seine Augen passen. Es 
empfiehlt sich daher, beim 
Aufnehmen solcher Bilder 
die Objektive des Apparates 
mindestens 25 cm von der 
lichtempfindlichen Platte ent 
fernt zu nehmen, also Brenn 
weite von 25 cm einzuhalten 
und die Linsen selbst in einem 
Abstande von etwa 8 cm von 
einander zu halten. 
Die mit engem Ge 
sichtswinkel hergestellten 
Stereoskopbilder für größere Entfernungen sind mit 
einem sogenannten Tele-Stereoskopapparate herge 
stellt und erfordern besonders konstruierte Schau 
kästen, um sie als vollkommen verschmolzene Bilder 
betrachten zu können. 
Im übrigen gelten für die Stereoskopbilder die 
selben Regeln wie für alle perspektivischen Bilder 
bezüglich des Sehwinkels, der Augenlinie, des Hori 
zontes u. s. w. 
Abschnitt 21. 
Diorama- und Panoramaperspektive. 
as Diorama ist in der Hauptsache 
ein lebensgroß gemaltes Bild, das 
eine natürliche Erweiterung seines 
Vordergrundes durch Auf stellen 
einer zum Bilde passenden Um 
gebung erfährt. Kommt z. B. ein 
Seestück zur Aufstellung, so er- 
-— -iB|MV( weitert man dessen Vordergrund, 
indem der Boden vor dem Bilde 
durch Dünensand, Muscheln, Bruchstücke von Schiffen 
als angeschwemmte Schiffsteile u. s. w. dem Meeres 
strande nachgebildet wird. Die Seiten des Bildes 
hingegen werden mit Strandgras, Gebüsch, Bäumen 
oder mit Felsenriffen so eingerahmt, daß die künst 
liche Erweiterung des Bildes bis zum Standpunkte 
des Beschauers reicht. 
Das Diorama ist als Vorstufe zur verwickelten 
Theaterdekoration zu betrachten. Während bei dieser 
jedoch der Hinter- und Vordergrund ganz gemalt 
ist, wird bei jenem nur der Hintergrund oder 
höchstens ein Teil der Seitenwände durch Malerei 
als Bild dargestellt, während die gesamte weitere 
Raumausgestaltung plastisch, der Natur nachgeahmt, 
die Wirklichkeit Vortäuschen soll. 
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