Full text: Neues Lehrbuch der Perspektive

tive aus der Vogelschau wohl das äußerste eines 
Beispieles für die Hochlage eines Horizontes. Ein 
weniger hoher Horizont, z. B. der Standpunkt auf 
einem Berge, bedingt immer noch eine weite Drauf 
sicht, und diese wird erst geringer, wenn der Hori 
zont sich der alltäglich gewohnten Augenhöhe nähert. 
Dann werden auch die Objekte so erscheinen, wie 
wir sie auf der Straße, bei Spaziergängen oder im 
Zimmer gewohnt sind. Bei tieferer Horizontlage 
erhalten alle Objekte mehr und mehr Untersicht, 
werden im Bilde hochragend und hochliegend, wie 
z. B. auf der Straße der zu einem Erker oder Fenster 
empor gerichtete Blick ein solches Bild empfängt. 
Je tiefer der Horizont, desto größer die Steigerung 
der Untersicht, wie beispielsweise bei einer Burg 
vom Bergesfuße aus gesehen. Die äußersten Grenzen 
der Tieflage des Horizontes finden sich in der Wand- 
und Deckenperspektive, weil hier der Blick bis fast 
senkrecht zur Raumdecke und die Horizontalebene 
dann wagerecht zur Bildebene gerichtet ist. 
Die Wahl für die Lage des Horizontes in der 
Perspektivkonstruktion ist ganz vom Darstellungs 
objekte abhängig. Bestimmte Regeln lassen sich da 
ebensowenig wie beim Standpunkte direkt festlegen, 
weil die verschiedenen Möglichkeiten zu mannig 
faltig sind, und alle ein richtiges Perspektivbild 
ergeben können; doch dürften allgemeine Ratschläge 
die Wahl der richtigen Lage wesentlich erleichtern. 
Zur Konstruktion aus den geometrischen Zeich 
nungen wird der Horizont, mit Ausnahme der 
Decken- und Luftballonperspektive, im geometrischen 
Aufrisse festgelegt. Bei den folgenden Erklärungen 
sind alle Angaben in einem bestimmten Maßstabe 
aufzufassen und zwar immer in demjenigen, den 
man zur geometrischen Auftragung benötigt oder 
doch annehmen kann. 
Bei einer Konstruktion aus der Vogelschau mit 
1000 m langem Uebersichtsfelde braucht man min 
destens 100 m Augenhöhe, um auch den entfernteren 
Ueberschneidungen möglichst auszuweichen, sie zu 
mildern. Eine größere Höhe, etwa 500 m, liefert 
ein ganz anderes Bild, weil dann die Draufsicht sehr 
zunimmt. Solche Perspektiven sind durchaus nicht 
selten, denn fast alle Plakate für Brauereien und 
Industrieetablissements, Ausstellungsübersichten, 
Zeichnungen von Hafenanlagen, Briefköpfe für 
Fabriken usw. benötigen sie. Schon bei 50 m 
Horizonthöhe ist das Bild als aus der Vogelschau 
gesehen anzunehmen, und steigt die Horizonthöhe 
im Verhältnisse zu einer größeren Uebersichtsweite 
und zum Darstellungsobjekte, je nachdem dieses 
mehr seitlich oder mehr von oben gesehen auf dem 
Bilde erscheinen soll, so daß sogar Horizonthöhen 
von 1000 und 1500 m dabei in Anwendung kommen 
können. 
Kirchliche Innenräume mit Emporen, innere 
Perspektiven von Warenhäusern mit Galerien, Museen, 
Kuppelhallen, Ausstellungshallen u. a. m. lassen häufig 
wünschenswert erscheinen, sie von den Emporen 
oder Galerien aus aufzunehmen. Hierbei würde der 
Horizont in mindestens 5 m Höhe vom unteren Boden 
aus zu legen sein, doch besser noch in der natürlichen, 
von der Galerie oder Empore aus angenommen. Liegt 
z. B. der Emporenboden 4,20 m über dem Kirchen 
boden, so kommen noch 1,60 m für die Augenhöhe 
des auf der Empore stehenden Beschauers hinzu, 
so daß also die Horizonthöhe 5,80 m vom unteren 
Boden anzunehmen wäre. 
Die normale Augenhöhe der Menschen beträgt 
1,60 m — höchstens 1,75 m, als Maß geeignet für den 
Horizont aller Perspektiven von Straßenbildern, 
Innenräumen, größeren Zimmern, Gebäudeansichten, 
Grab- und Denkmälern, überhaupt der meisten auf 
ebener Erde befindlichen Objekte. Selbstredend 
werden auch die Kircheninneren mit dieser Horizont 
höhe mindestens ebensogut, wenn nicht besser wirken, 
als von einer Empore aus, weil die Wirkung des 
inneren Aufbaues so viel mächtiger zur Geltung 
gelangt. 
Bei kleinen Zimmerperspektiven, bei denen der 
Raum doch selten eine größere Höhe hat, sondern 
meist entsprechend niedriger und wohnlicher ange 
nommen wird, ist es vorteilhaft, einen niedrigeren 
Horizont zu wählen, etwa wie den eines im Zimmer 
Sitzenden, mit 1,20 m Augenhöhe. 
Der tiefliegende Horizont wird meist bei Dar 
stellungen der Dekorationsmalerei Vorkommen oder 
bei Objekten, die hochliegend wirken sollen. Bezüg 
lich der Dekorationsbilder wird natürlich der Platz 
maßgebend sein, wo später das Bild angebracht 
werden soll; demnach muß der Horizont sich in der 
natürlichen Augenhöhe unter dem Bilde befinden, 
und diese Lage wird, im Maßstabe der geometrischen 
Projektion gezeichnet, auch beim Konstruieren an 
genommen. (Siehe Wand- und Deckenperspektive, 
sowie den Abschnitt über Diorama- und Panorama 
perspektive, über die Lage des Horizontes bei solchen 
Bilddarstellungen). 
Bei allen Perspektivkonstruktionen, mögen es 
Einblicke in Höfe, Gartenanlagen, Theater, oder auch 
perspektivische Schnitte usw. sein, ist der natür 
lichen Wirkung im vollendeten Bilde wegen sehr zu 
raten, stets einen in Wirklichkeit möglichen Stand 
punkt für die Lage des Horizontes zu wählen. Da 
bei ist es aber durchaus nicht zwingend, diesen 
möglichen Standpunkt in Bezug seiner Entfernung 
vom Objekte, also für die Konstruktion im geome 
trischen Grundrisse der Wirklichkeit nach möglich 
zu bestimmen (siehe Abschnitt 6, Absatz 2). Hierbei 
ist dagegen der Sehwinkel allein maßgebend, es 
handelt sich vielmehr nur um die Höhenlage des 
Augenstandpunktes zum Objekte, die den Horizont 
festlegt. 
Zu den unmöglichen, mindestens sehr ungewöhn 
lichen Horizonten sind die zu zählen, die etwa im 
Zimmer unter die Decke, in der Kirche unter das 
Gewölbe, im Theater in die Nähe des Kronleuchters 
verlegt werden. Ueberdies würden solche Per 
spektiven mit extremen Horizonten auch in der 
Linienführung kein vorteilhaft aussehendes Bild 
liefern. 
Beim Hängen oder Aufstellen eines Perspektiv 
bildes ist es sehr wünschenswert, den Horizont 
möglichst in die allgemeine Augenhöhe der Be 
trachtenden zu bringen. Die Wirkung eines Bildes 
wird stets beeinflußt, wenn sein Horizont bedeutend 
tiefer oder höher liegt als die Augenhöhe der Be 
schauer.
	        
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