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Gradmessungen.
gehen könne. Man wählte als solche den yierzigmillionensten Theil des
Erdumfangs und beschloss dessen Grösse durch eine neue Gradmessung
feststellen zu lassen, die an Ausdehnung und Genauigkeit alles vorher
Dagewesene weit übertreffen sollte. Diese Messung sollte sich von
Dünkirchen bis Barcellona erstrecken und Delambre und Mechain
wurden mit Ausführung derselben beauftragt. Später aber, nach Me-
chain’s Tode im Jahre 1805, übertrug das Längenbureau Arago und
Biot die Beendigung der Arbeit, welche diese auch, nachdem sie die
Triangulation bis zu der kleinen Insel Formentera fortgesetzt, glück
lich vollbrachten. Inzwischen (1801) war in Schweden unter Swan-
berg’s Leitung eine neue Gi’admessung zu Stande gekommen, welche
die alte Maup ertuis’sche, dem jetzigen Zustande der "Wissenschaft
nicht mehr genügende Arbeit, erneuerte. Ebenso führte im folgenden
Jahre Lambton in Ostindien eine Gradmessung aus, die sich über
l'/ 2 ° ausdehnte, 1805 aber begann er schon eine zweite, die sich dies
mal über fast IG Grade erstreckte. Die Betheiligung Englands an den
Gradmessungen datirt vom Jahre 1783 her, wo General Roy die erste
Triangulation begann; ihm folgte Mud ge, der dieselbe in einer Aus
dehnung von 2° 50' von der Insel Wight bis Clifton beendete. Später
dehnten Colby und Airy die englische Gradmessung noch bedeutend
aus, so dass dieselbe fast 11° umfasst und durch den Anschluss an
die französische hier ein Bogen von 22 Breitengraden bestimmt ist.
Bis jetzt hatte sich Deutschland, einige misslungene Anfänge ab
gerechnet, mit Gradmessungen natürlich nicht befasst, als jedoch später
Gauss und Bessel die ersten deutschen Gradmessungen und selbst
zum grössten Theile mit in Deutschland angefertigten Instrumenten
ausführten, da stand Deutschland auf diesem Gebiete in Bezug auf
Theorie und Praxis dem Auslande plötzlich mindestens ebenbürtig an
der Seite. Bessel, der feinste Beobachter, vervollkommuete gleich
zeitig die Theorie durch scharfsinnige Untersuchungen über das Messen
auf dem Sphäroid; Gauss, nach Laplace’s Ausdruck der grösste
Mathematiker Europa’s, vervollkommnete auch die Praxis durch Erfin
dung des Heliotropen, wodurch die Einstellungen auf die Signale un
vergleichlich an Sicherheit gewannen. Auch Russland trat jetzt in
die Reihe der Staaten, welche Operationen zur Bestimmung der Erd
dimensionen unternahmen. Tenner und W. Struve haben sich um
diesen Theil der Wissenschaft unvergängliche Verdienste erworben. Fast
vom Schwarzen bis zum Eismeere erstreckt sich die russische Triangulation,
die grösste, welche bis jetzt unternommen worden. Im Jahre 1852
war, mit Einschluss der schwedischen Arbeiten, das grosse Werk voll
endet, nachdem es 35 Jahre in Anspruch genommen. Mehr als zwei
und ein halb Hundert grosse Dreiecke waren bestimmt, die Positionen
von 13 Punkten der Triangulation astronomisch festgestellt und zehn
verschiedene Grundlinien gemessen worden. Ausserdem hatte der uner
müdliche Tenner die russischen Dreiecke noch durch neue Opera
tionen mit den österreichischen und preussischen in Verbindung ge
bracht, so dass nunmehr dieser ganze Theil Europa’s netzartig von
Dreiecken überzogen ist. Doch nicht allein die grösste Breitengrad-