10. lieber den Einfluss des Mondes auf die Witterung. 143
Auch mittelbar wird der Mond durch die Bewegungen, die er im
Meerwasser hervorbringt, auf Witterungsveränderung, wenigstens an
einigen Seeküsten, einwirken können. Die Meeresfluth beträgt in dem
freien offenen Ocean wohl nicht mehr als 3 bis 4 Fuss; aber an den
Küsten, in engen Kanälen und sich nach und nach verengenden Buchten,
wo die grosse Wassermasse mit Gewalt einströmt, können die Finthen
eine ungemeine Höhe erreichen. So steigt die Fluth zu Brest oft über 20,
zu Havre bis gegen 30, und zu Bristol gar auf 50 Fuss. Müssen nicht
solche ungeheure Wassermassen auch einige Bewegung, einige Ver
änderung in der Atmosphäre veranlassen? Um so mehr, da sie zugleich
nicht ganz ohne Einfluss auf die Elektricität der Luft zu sein scheinen?
Wirklich glauben auch die Küstenbewohner Veränderungen des Wetters
und der Richtung und Stärke der Winde, Züge der Wolken, besonders
der Gewitterwolken, von den Fluthbewegungen abhängig zu sehen.
Ich muss hierbei bemerken, dass die Fluthen der Atmosphäre und
die Fluthen des Oceans, obgleich beide vom Monde verursacht, beide
von einerlei Periode und Abwechslung, doch durchaus nicht gleichzeitig
sind. Die so leicht bewegliche Luft, durch kein Hinderniss gestört,
muss der anziehenden Kraft des Mondes fast unmittelbar folgen, da
hingegen das schwere und träge Wasser erst langsam dem Zuge des
Mondes gehorcht. Die Fluth der Atmosphäre wird unmittelbar auf den
Durchgang des Mondes im Meridian folgen, da in der offenen See die
Meeresfluth erst drei Stunden nachher eintritt. In weniger freien Meeren
muss die Fluth erst aus dem grossen Ocean einströmen, und so sind die
Flutlizeiten von den verschiedenen Küsten höchst verschieden. Wenn
sich nun überhaupt schon die geringe Einwirkung des Mondes auf die
Witterung unter den übrigen, ungleich mächtiger auf dieselbe ein wirkenden
Ursachen fast ganz verliert, so muss sie besonders in unseren nörd
licheren Ländern gar nicht wahrzunehmen sein, theils weil hier über
haupt die Witterung so ungemein veränderlich ist, theils weil sich die
mittelbaren und unmittelbaren Einwirkungen des Mondes als nicht gleich
zeitig oft einander aufheben. Vielleicht könnte das die Ursache sein,
warum, wie ich schon das vorige Mal anführte, der Astronom Hoksley
in Oxford aus den englischen Beobachtungen gar keine Relation zwischen
den Stellungen des Mondes und der Witterung entdecken konnte; da
hingegen der Professor Toaldo in Padua aus den unter dem beständigen
Himmel von Italien angestellten fünfzigjährigen Beobachtungen des
Marchese Poleni allerdings einigen Einfluss des Mondes auf die Witterung
ableiten zu können glaubte. In Italien können sich die mittelbaren
und die unmittelbaren Wirkungen des Mondes auf die Atmosphäre nicht
einander stören und verwirren, weil die mittelländische See keine merk
lichen Fluthen hat.