Full text: L-Z (2. Band)

477 
Stabilitäts-Problem. 
ger als einen ganzen Tag beträgt. Ja, 
die christliche Kirche, eine göttliche Stif 
tung zur Beseligung aller menschlichen 
Dinge für Zeit und Ewigkeit, welche 
auch die Pforten der Hölle nicht werden 
überwältigen können, darf es von der 
Wissenschaft gewissermaßen als eine schul 
dige Pflicht fordern, der gesammten 
christlichen Welt mit größter Sorgfalt 
den gegenwärtigen Zustand aller unserer 
Kenntnisse des Sonnen- und Mondlauss 
vor die Augen zu legen, um danach ei 
nen unveränderlichen Canon der Schalt 
jahre und Osterfeste auf eine möglichst 
entfernte Zukunft zu entwerfen, welcher 
den Vortheil der möglichsten Einfachheit 
und des möglichst engen Anschließens an 
die bisherige geheiligte Observanz mit 
dem Vortheil des möglichst genauen An 
schlusses an den Himmel vereinigt. So 
bedenken wir einmal: Eine cyklische 
Zeitrechnung setzt voraus, daß die mitt 
leren Bewegungen der Sonne und des 
Mondes unter allen wechselnden Ungleich 
heiten oder sogenannten Störungen 
sich gleich bleiben, daß die Störungen 
sich unaufhörlich unter einander compen- 
siren, und die Weltkörper dadurch in ei 
ner gewissen ehrerbietigen Entfernung von 
einander erhalten und verhindert werden, 
durch ihre zu große Nähe einander zu 
schaden, oder wohl gar gewaltsam zu 
sammenzustoßen und sich gegenseitig zu 
zertrümmern. Ist diese Voraussetzung 
nun etwa eine blinde? Wie, wenn sie 
es wäre? Würden da nicht die mensch 
lichen Geschäfte, und namentlich die öko 
nomischen, an deren Regelmäßigkeit wir 
nun einmal so gewöhnt sind, daß wir 
fast darauf trotzen und meinen, sie ver 
stehe sich von selbst, endlich in die größte 
Unordnung gerathen? So laßt uns denn 
diejenigen Fragen in einen kurzen Ueber- 
blick zusammenstellen, welche man, als 
eigentliche Lebensfragen unseres Son 
nensystems , vorzugsweise mit dem Na 
men des Stabilitäts-Problems 
bezeichnet. Wir werden dabei die Ord 
nung der Säcular-Ungleichheiten der ein 
zelnen Elemente der Planetenbahnen zum 
Grunde legen. 
1) Wenn die Linie der Apsiden 
jeder Planetenbahn sich jetzt nur mit gro 
ßer Langsamkeit zwischen den Fixsternen 
fortbewegt, wird diese Bewegung in alle 
Ewigkeit mit derselben Langsamkeit vor 
sich gehen? Oder wird vielmehr eine Zeit 
kommen, wo z. B. die Apsidenlinie der 
Erdbahn innerhalb eines Jahres um 
einen sehr beträchtlichen Winkel fortrückt, 
so daß man diese Bewegung nicht mehr 
mit dem Namen einer Säcular-Ungleich- 
heit bezeichnen kann, — daß, wie von 
jetzt an noch mehrere Jahrhunderte hin 
durch, die größte Nähe der Erde bei der 
Sonne allemal in den Winter der 
nördlichen Halbkugel fällt, dereinst inner 
halb eines einzigen Jahres die größte 
Nähe der Erde bei der Sonne zweimal 
eintreten wird, einmal in unserem Som 
mer und einmal in unserem Winter? 
Das würde eine merklich andere Verthei- 
lung der Jahreszeiten geben als jetzt, da 
schon jetzt auf der nördlichen Halbkugel 
Frühling und Sommer zusammen 8 Tage 
länger währen, als Herbst und Winter, 
und auf der südlichen Halbkugel umge 
kehrt. Doch das wäre nur die g e r i n g st e 
Unordnung der irdischen Haushaltung, so 
lange die Ercentricität der Erdbahn so 
unbedeutend bleibt als jetzt, wo die größte 
Entfernung der Erde von der Sonne die 
kleinste kaum um den 30sten Theil über 
trifft. Wichtiger ist daher 
2) die Frage hinsichtlich der Ercen 
tricität. Wenn dieselbe bei manchen 
Planetenbahnen ab- und bei den übrigen 
zunimmt, wird diese Zunahme einst alle 
Grenzen überschreiten? Werden ans diese 
Art die Planeten in einen kometari 
schen Zustand übergehen? Ja, wird die 
Ellipse sich endlich völlig in eine Para 
bel oder wohl gar in eine Hyperbel 
verwandeln, und dadurch der Planet der 
Sonne entrissen und in den unendlichen 
Raum hinaus nach anderen Fixsternen 
zu geschleudert werden? Steht dieses 
Schicksal insbesondere unserer Erde 
bevor? Denn es ist keineswegs sich selbst 
widersprechend, sondern scheint vielmehr 
eine Analogie der Erfahrung für sich zu 
haben, da wir ja wissen, daß der be 
rühmte Komet von 1770 während der 
wenigen Wochen seiner damaligen Sicht 
barkeit nach Lexell's untrügllcher Rech 
nung eine Ellipse um die Sonne mit 
ö'/rjähriger Umlaufszeit beschrieb, und 
dennoch weder vor -, noch nachher gese 
hen wurde, und dadurch den Astronomen 
ein Räthsel aufgab, das erst durch La-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.