41)0
Stabilitäts-Problem»
Diesen Zeitraum können wir den Zeit
raum der Stabilität der Erdbahn
im engeren Sinne nennen.
Um ihn zu bestimmen, mußte zuerst
auf die Veränderungen der Er-
centricität der Erdbahn und auf die
B e w e g u n g ihrer Apsidenlinie
Rücksicht genommen werden, wovon die
Berechnung des Tages der wahren
Frühlingsnachtglciche (im Gegen
satz der mittleren) hauptsächlich ab
hangt. Hiernach fand sich ein Zeitraum
der Stabilität der Erdbahn im engeren
Sinne von 736000 Jahren, innerhalb
welcher Zeit die Grenze der Ercentrici-
tät (von Le Verrier auf 0,08 ange
geben) sich höchstens etwa bis auf 0,08433
erweitert. Aber jene 736000 Jahre zie
hen sich sehr merklich zusammen, wenn
man nicht an die sidcrische, sondern (wie
es zum Behuf der Entwertung des Ka
lenders und zur Bestimmung der christli
chen Hauptfcste erforderlich ist) an die
tropische Bewegung der Erde um die
Sonne denkt. Denn während die Er-
centrieität und die Lage der Apsidenlinie
sich im Laufe der Jahrhunderte ändern,
bewegen sich die Aequinoctialpuncte
in ihrem Zurückweichen zwischen den Fix
sternen mit ungleichförmiger Ge
schwindigkeit , und eben dadurch ändert
sich die tropische Jahreslänge (denndie
Aenderungen der Ercentricität und der
Lage der Apsidenlinie tragen dazu, wie
sich deutlich zeigen läßt, nichts bei).
Daraus entsteht die sogenannte Säcn-
l a r g l e i ch u n g der Nachtgleichen-
pun ct e, d. h. die Correction, welche an
die für künftige Jahrhunderte vermittelst
der gegenwärtigen tropischen Bewe
gung berechneten scheinbaren Oerter der
Weltkörper an der Himmelskugel anzu
bringen ist, um der ungleichförmigen
Präcesfion zu genügen. Diese Correction
hat Delambre in eine (seinen Tafeln
des Sonnenlaufs einverleibte) Tafel ge
bracht, welche aber (weil er bei der La-
place'schen Theorie der Präcession ste
hen blieb) nur bis 1200 Jahre nach der
Fundamental-Epoche, also bis zum Jahr
3000 unserer Zeitrechnung brauchbar ist.
Diese Tafel mußte nun nach der Le Ver-
rier'schen Theorie umgeformt, und zu
gleich eine Ueberlegung angestellt wer
den, welche Ungewißheit noch wegen der
vernachläßigten höheren Potenzen der Er-
centricitäten und Neigungen übrig blieb,
— welches eine durchgreifende Revision
der ganzen bisherigen, höchst verwickelten
Präcessions- Theorie erforderte,
wozu die neueren Arbeiten von Pois-
son, Pontvcoulant, Bessel, Otto
Struve und Peters'" (diebeiden letz
teren Männer sind Mitarbeiter an der
neuen Pulkowaer Sternwarte) zwar als
schätzbare Hülfsmittel dienten, aber doch
(weil sie sich nie zum Ziele setzten, auf
eine große Anzahl von Jahrtausenden
auszureichen) für unsern Zweck nicht ge
nügten. Es gehört eine gewisse Resig
nation dazu, weitläuftige numerische Rech
nungen durchzuführen, deren Resultate
am Ende doch nicht zur unmittelbaren
Anwendung kommen, sondern nur die
Grenzen der übrig bleibenden
möglichen Fehler ausdrücken; aber
um so größer ist die Belohnung, indem
man dadurch eine Sicherheit in der Be
urtheilung des Grades der Zuverlässig-
keit aller gewonnenen Resultate erhält,
die durch nichts anderes ersetzt werden
kann.
Auf diese Weife fand sich, daß der üb
rig bleibende Fehler in der verbesserten
D e l a m b r e'schen Tafel, welcher zur Zeit
der Fundamental-Epoche = 0 ist, in den
späteren Jahrhunderten der Zeit propor
tional wächst, bis endlich nach etwa
37500 Jahren die Ungewißheit des Zeit
puncts der Frühlings-Nachtgleiche sich auf
einen ganzen Tag angehäuft hat. Das
also ist der Zeitraum der Stabilität der
Erdbahn im engeren Sinne, und er wird
bis auf etwa 28200 Jahre zusammen
gedrängt , wenn man berücksichtigt, wie
weit auch der Werth der die ersten Po
tenzen der Ercentricitäten und Neigun
gen enthaltenden Glieder ungewiß ist,
wegen der noch Statt findenden Ungewiß
heit der Massen. Bis zum Jahre
30000 unserer Zeitrechnung ' kann man
also schon jetzt einen Kalender anlegen,
* Ich meine dessen klassisches Werk über
die N u t a t i v n s - C v n st a n r e, welches
in einem scheinbar nur Oeiinupn«’” Ab
schnitt höchst wichtige, bisher nnbekannte,
analytische Entwicklungen über die Pra-
cession und deren Saenlar-Aendernn-
gen enthält.