Gauss au Olbers. Göttingen, 1820 Juni 28.
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No. 886. Gauss an Olbers. [m
Göttingen, 1820 Juni 28.
Herzlichen Dank für Ihren gütigen und lehrreichen Brief vom ....
(ich bemerke erst jetzt, dass er ohne Datum war). Die Nachricht über
den REiCHENBACH’schen Meridiankreis werden Sie wohl in No. 91 unsrer
Gel. Anz. 1 ) gelesen haben. In Beziehung auf die eine dort angeführte
Probe von der grossen optischen Kraft des Fernrohrs muss ich doch
anmerken, dass das Wunderbare davon beträchtlich vermindert wird,
wenn man erwägt, dass vordem das Zimmer übrigens so viel [als] möglich
verdunkelt ist, und dass der sonst helle Hintergrund des Himmels, worauf
der Stern erscheint, in dem Wasserspiegel ebenso viel verdüstert wird
als der Stern selbst. Ich glaube daher, dass man sogar Sterne 3. Grösse
bei heitrer Luft unter Tage im Wasserspiegel würde beobachten können,
wenn man verhüten könnte, dass dieser fast jeden Augenblick in eine
zitternde Bewegung gerätli. In Zukunft werde ich auf eine Einrich
tung denken, das Wassergefäss von dem Boden, worauf die Beob.-Treppe
steht, mehr zu isoliren. Das Wetter hat seit dem 13. Mai nicht er
laubt, jene Beob. zu wiederholen. Uebrigens aber ist es doch entschieden,
dass das Fernrohr des Kreises merkbar schwächer ist als das Mittags
fernrohr, was auch ganz in der Ordnung ist, da die Flächen im Ver-
hältniss wie 6:7 stehen, sowie die Brennweiten und stärksten Ver-
grösserungen im Yerhältniss 5: 6. Für die Bestimmung der Ver-
grösserungen hat Bessel ein sehr nettes Verfahren angegeben, das ich
erst später kennen lernte. * 2 ) Es besteht darin, dass man den Durch
messer des Bildes des Objektivs vor dem Okular durch die Winkel-
bewegung des Kreises selbst misst, indem man ein festes Doppelmikro
skop etwa mit einem Horizontalfaden davor stellt und beide Ränder des
Bildes nach einander an diesen Faden bringt. Eine einmalige, obwohl
nicht besonders sorgfältige Anwendung dieses Verfahrens gab mir die
Vergrösserungen 65; 91; 119; 177. Mit der stärksten Vergrösserung,
die ich fast ausschliesslich brauche, habe ich alle HERSCHEL’schen Doppel
sterne erster Klasse, die ich bisher aufgesucht habe (wo der kleine
nicht etwa als ausserordentlich klein angegeben und also mit Beleuch
tung nicht zu sehen ist) als solche meistens ohne Mühe erkannt; einige
derselben z. B. 11 Monocerotis (triplex), y Leonis, £ Ursae maioris fallen
sehr schön in die Augen; zu den feinsten gehört o Coronae. Es ver
1) Vergl. Gauss’ Werke Bd. VI, S. 429. Krm.
2 ) Vergl. Briefwechsel Gauss-Besseu, Brief No. 117 S. 331, No. 119 S. 345. Krm.