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Ursprung der Heldensagen. — Die Sintflut.
wie groß mag über manchmal ihr Schrecken gewesen sein, wenn
aus dem einen glücklich erreichten Zufluchtsort umbrandenden
Wasser plötzlich ein nie gesehenes, ans fernen Ländern heran-
geschwommenes Ungetüm, ein Riesensaurier oder ein Diplodokus
von %o m Länge auftauchte und versuchte, auf seinen Watschel
beinen auch dieses Stückchen Festland zu erklimmen. Die Ver
zweiflungskämpfe, welche sich da abgespielt haben, sind im Gedächt
nis und in den Vorstellungen der Urvölker lebendig geblieben und
bilden sicherlich die Grundlagen zu den späteren Melden- und
bsexensagen.
Zn. mehr als 60 voneinander unabhängigen Überlieferungen,
welche bis jetzt in den verschiedensten Ländern der Erde ermittelt
wurden, und welche keineswegs als Fabeln anzusehen sind, ist von
einer großen Flut und Wassersnot die Rede; sie betreffen ein Er
eignis, welches von denkenden Menschen erlebt worden ist.*) Viele
dieser Überlieferungen sind uns erst aus Mitteilungen, welche noch
keiner Schriftsprache mächtige Urvölker Reisenden wie Humboldt,
Falb u.a. inAmerika gemacht haben, bekanntgeworden; sie haben sich
also allein durch mündliche Weitergabe über ungezählte Geschlechter
hinweg erhalten. Andere Überlieferungen kennen wir aus den
Steintafeln der Assyrer, aus Aufzeichnungen der Chinesen, Inder
und Ägypter, und die uns bekannteste stammt aus der Bibel,
wie lange aber mag auch diese von Mund zu Mund weiter
gegeben worden sein, bis sie von der Priesterschaft aufgenommen,
in Ziegeltafeln eingeschrieben und zuletzt auf Papyrusrollen auf
getragen werden konnte!
wenn die Assyrer von einer Burg sprechen, hinter deren
Mauern sie sich vor der Flut geschützt glaubten, andere von einem
Schiff erzählen, in dem sie sich retten wollten, so ist das eine so
glaubhaft wie das andere. Der Unterschied liegt nur in der
lokalen Färbung, und das muß man sich gegenwärtig halten,
wenn man die alten Mythen als das erkennen will, was sie sind,
nämlich als die ältesten Urkunden aus den frühesten Zeiten der
jetzigen Menschheit, in denen uns die grauenvollste Katastrophe,
welche je darüber hinweggebraust ist, erhalten blieb. Die ein
zelnen Überlieferungen werden auch nach den Zwecken, die die
*) vergl. Die Sintflut v. Dr. )oh. Riein. Stuttgart, M. Rielmann, 1 , 906 .