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Baeyer s Spannungstheorie.
Eine sehr plausible stereocbemische Erklärung' dieser Tatsachen gibt
die Baeyer sehe Spannungstheorie (B. 18, 2277): die vier Kohlenstoff-
affinitäten, welche im allgemeinen die von der van ’£ Hoft-Le Bel-
sehen Theorie geforderte Richtung aufweisen (Richtung von der Mitte
zur Ecke des Tetraeders), können unter Umständen unter Energie
aufwand aus dieser normalen Lage abgelenkt werden; je gröber die
Ablenkung aus der normalen Richtung ist, um so größer ist das
Streben der Affinität, jn die normale Richtung zuriiekzukehren, d. i.
die Spannung im Molekül. In der folgenden Tabelle ist unter « der
jenige Winkel angegeben, um welchen jede einzelne zur Ringbildung
verwendete Affinität aus der normalen Richtung infolge der Ring
bildung abgelenkt ist:
«
a
Äthylen ....
-f 54° 44' D
Penta-methylen .
-f 0° 44'
Tri-methylen . .
-j- 24° 44'
Hexa- „
— 5° 16'
Tetra- „ . .
9° 44'
Hepta- „ .
— 9° 33'
Tatsächlich sind in guter Übereinstimmung mit diesen Betrach
tungen der Penta- und Hexamethyleni'ing viel beständiger als die
durch Halogene bzw. Halogenwasserstoffsäuren sprengbaren Athylen-
und Trimethylenringe. Auch entstehen meist Penta- und Hexamethylen-
ringe leichter und oft auch in besserer Ausbeute als die zwei- und
dreigliedrigen Ringe. Als Maß der Ringspannung gilt die exakter
bestimmbare Verbrennungswärme: 2 Mol. Trimethylen liefern bei der
Verbrennung beträchtlich mehr Wärme als 1 Mol. Hexamethylen.
Überraschenderweise lassen sich der sonst so beständige Penta-
und Hexamethylenring unter sehr einfachen Bedingungen zu den nächst
höheren Ringsystemen erweitern (A. 353, 324).
In den seither besprochenen isocyclischen Verbindungen sind
die Ringkohlenstoffatome ausschließlich durch einfache Bindungen
anein an dergeknüpft; aber so wie den Paraffinen die Olefine ent
sprechen, so gibt es auch, besonders unter den Penta- und Hexa-
methylenderivaten, eine ganze Reihe solcher Verbindungen, in
deren Molekül Doppelbindungen Vorkommen, die sog. Cy clo
olefine (dem „Cyclopentan“ usw. entsprechen so z. B. „Cyclo-
penten“ und „Cyclopentadien“). Wenn im Sechsring eine oder
zwei Doppelbindungen enthalten sind, zeigen diese Verbindungen
rein olefinischen Charakter; sind jedoch drei Doppelbindungen
vorhanden (Cyclohexatrienderivate), so zeigen die betreffenden
Substanzen höchst merkwürdigerweise einen völlig veränderter,
den sog. „aromatischen“ Charakter (s. Kap. XVI usw.). 1
1 ) Im Acetylen ist die Ablenkung noch größer: 4-70° 32'