Full text: Theorien der Chemie

Wenn wir die geschichtliche Entwicklung unserer Wissenschaft 
betrachten, so finden wir, daß die neuen Baumeister sehr oft, ja fast 
immer, die Pläne der älteren Teile nicht kannten, oder wenigstens sie 
nicht beachteten, während sie ihr eigenes Werk ausführten. Trotzdem 
beobachten wir, daß derselbe Stil in neuer und alter Zeit angewandt 
worden ist. Das kommt davon, daß wir gelernt haben, die von Gene 
rationen gesammelte Erfahrung bei unserer Arbeit, wenn auch unbewußt, 
zu benutzen. Es hat kaum Wert, zu untersuchen, ob der Bau schneller 
fortgeschritten wäre, wenn die Forscher von heute immer die Baupläne der 
alten Meister vor ihrem Geiste gehabt hätten. Ich kann nur meine persön 
liche Meinung dahin aussprechen, daß die jetzige Arbeitsweise die frucht 
barste ist. In der Tat ändert sich die Arbeitsmethode allmählich in dem 
Maße, als besseres Werkzeug gefunden wird, und gleichzeitig moderni 
sieren wir auch, unbewußt und unwillkürlich, durch tausend unmerkliche 
kleine Veränderungen, die älteren Teile des Gebäudes und bringen sie so 
in vollkommene Harmonie mit den neuen. 
Die große Leichtigkeit, mit der diese Anpassung der alten Teile 
an die neuen vor sich geht, ist der beste Beweis für die Gesundheit und 
Kraft unserer theoretischen Ideen. Ich wage zu hoffen, daß alle, die den 
Ausführungen dieser Vorlesung folgen wollen, zu der Überzeugung kom 
men werden, daß die neuen Entwicklungen der theoretischen Chemie sich 
dieser Probe mit guter Zuversicht unterziehen können. 
Den in Berkeley gehaltenen Vorträgen habe ich einige Aus 
führungen zugefügt, die auf neue Publikationen in theoretischen Fragen 
Bezug haben. 
Mein Freund, Dr. Alexis Finkeistein, hat das Buch ins Deutsche 
übertragen und mit Literaturnachweisen versehen. Ihm sowohl wie der 
Akademischen Verlagsgesellschaft m. b. H. spreche ich meinen verbindlichsten 
Dank aus für das Erscheinen dieser Vorlesungen in deutschem Gewand. 
Schließlich möchte ich mit der Veröffentlichung dieser Vorlesungen 
meinen californischen Freunden einen Gruß senden, die mir in ihrem 
schönen Lande einen liebenswürdigen, unvergeßlichen Empfang bereitet 
haben. 
Stockholm, Oktober 1905. 
Der Verfasser.
	        
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