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ristischen Reaktionen des Ferro-Ions, z. B. werden sie von Alkalikarbonaten
und -Hydraten gefällt, sie geben mit Ferricyankalium einen blauen Nieder
schlag (Turnbulls Blau) usw. Für Ferrocyankalium, das früher als ein
Ferrosalz betrachtet wurde, gilt das indessen nicht. Den Grund davon habe
ich in meiner Inaugural-Dissertation aus dem Jahre 1884 angegeben: die
Ferrocyanide enthalten das positive Ferro-Ion nicht, wenigstens nicht in
merklicher Menge. Ein anderes, noch instruktiveres Beispiel ist von Ost
wald beigebracht worden. Alle echten Chloride geben einen weißen flockigen
Niederschlag mit Lösungen von Silbersalzen (am meisten verwandt wird das
Silbernitrat). Man sagte daher früher, daß die Silbersalze Reagenzien auf
Chlor sind. Jetzt sagen wir, daß Silberionen Reagenzien auf Chlorionen
sind. Diese Formulierung ist besser als die alte, denn weder alle Silber
salze (z. B. Kaliumsilbercyanid und viele andere Silberverbindungen) noch
alle Chlorverbindungen (z. B. Kaliumchlorat und viele organische Chloride)
geben diese charakteristische Reaktion. Der Versuch gelingt vielmehr nur
mit solchen Silber- und Chlorverbindungen, die in meßbarem Grade in Silber
und Chlorionen zerfallen sind. Diese Ionen müssen, der Theorie nach, in
solcher Menge zugegen sein, daß die Menge des nach der Gleichgewichts
formel
Ag + Cl-Z^AgCl
entstehenden Chlorsilbers größer ist, als die lösliche Menge dieses Salzes.
Ostwald 1 ) hat diese und andere Fragen ausführlich behandelt,
und so die allgemeinen Erscheinungen der analytischen Chemie dargestellt,
denen früher die exakte wissenschaftliche Begründung fehlte.
In dieses Kapitel gehören auch die giftigen und heilkräftigen Eigen
schaften gewisser Salze, eine Wirkung, die man als eine speziell physio
logische Reaktion dieser Salze auffassen kann. So ist es z. B. seit lange
bekannt, daß äquivalente Mengen verschiedener Kaliumsalze dieselbe Gift
wirkung ausüben — soweit das begleitende negative Ion unschädlich ist
— und daß äquivalente Mengen verschiedener Chininsalze dieselbe Heil
kraft haben. In diesen beiden Fällen kann man ohne einen merklichen
Fehler zu begehen, eine vollständige Spaltung der Salze in ihre Ionen
annehmen, wenn sie in den Körperflüssigkeiten gelöst sind. In anderen
Fällen, bei Quecksilbersalzen z. B., ist die elektrolytische Dissoziation nur
klein, und bei den verschiedenen Salzen nicht gleich, selbst bei der großen
Verdünnung noch nicht, in der sie im Körper enthalten sind. Diese
Dinge sind vom Standpunkte der elektrolytischen Dissoziationstheorie aus
x ) Vgl. Ostwald, Die wiss. Grundlagen d. analyt. Chemie. Leipzig 1904.