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Theorie der wäßrigen Lösungen
zentration der Chlorionen in der Lösung erhöht worden. Man stelle den
Versuch an.
Ein weiteres Beispiel für dieses Gesetz ist die früher festgestellte Tatsache,
daß die Basizität einer Ammoniaklösung durch Zusatz von Ammoniumsalzen
herabgedrückt wird. Durch die starke Vermehrung der Ammoniumionen, die
das im Vergleiche zum mäßig dissoziierten Ammoniumhydroxyde stark disso
ziierte Ammoniumchlorid hervorbringt, wird die elektrolytische Spaltung des
Ammoniumhydroxyds beträchtlich herabgedrückt: die Konzentration der Hydroxyl-
ionen nimmt ab; die Wirkung der Base schwächt sich dadurch so weit, daß sie
nicht mehr Magnesium-, Zink-, Ferro- und einige andere Metallsalze zu fällen
imstande ist.
Zahlreiche Eigentümlichkeiten, die bei essigsauren Lösungen zu beobachten
sind (vgl. die Umsetzungen der salpetrigen Säure), ferner die geringere Löslich
keit von Chlorwasserstoffgas in Chloridlösungen oder in verdünnten Säuren
reinem Wasser gegenüber beruhen im letzten Grunde auf diesem Gesetze.
Masseimirkungsgesetz : Das eben besprochene Gesetz ist ein Einzelfall
des „Massenwirkungsgesetzes“, eines der wichtigsten Gesetze der Chemie,
das hier nur kurz und auch nicht in seinem ganzen Umfange angedeutet sein
möge. Das Massenwirkungsgesetz beruht auf der Erkenntnis, daß jeder Stoff
proportional seiner Konzentration zur Wirkung kommt v Ein besonders einfacher
Fall ist die Dissoziation eines Stoffes in zwei Spaltungsstücke; es besteht dann
zwischen dem Stoffe und seinen Spaltungsstücken ein Gleichgewicht. Wenn
man die molare Konzentration vom nicht gespaltenen Anteile eines Stoffes mit
c, die seiner Spaltungsstücke mit a und 6 und eine Konstante mit K bezeichnet,
so wird das Gleichgewicht durch folgende Gleichung festgelegt:
a • b = K • c
Beispiele für diesen Fall bilden alle binären Elektrolyte. Die Konstante K,
die hier als „Dissoziationskonstante“ bezeichnet wird, ist bei allen stark
ionisierten Stoffen groß, bei den nur wenig ionisierten Stoffen klein; ein Blick
auf die Gleichung macht das verständlich. Die Dissoziationskonstante ist von
der Natur des Stöffes und von der Temperatur abhängig, dagegen unabhängig
vom Grade der Verdünnung — im Gegensätze zum Dissoziationsgrade vgl. oben.
Der Einfluß eines gleichionigen Zusatzes zu der Lösung eines schwachen
Elektrolyten läßt sich auf Grund des eben Auseinandergesetzten verstehen.
Bei einem schwachen Elektrolyten sind die Ionen in geringer Konzentration
vorhanden: o und b sind also klein; die Konzentration des nicht gespaltenen
Anteiles c ist groß; und die Konstante K ist nach dem Obigen klein. Jetzt
werde ein zweiter und zwar starker Elektrolyt zugesetzt, der ein gleiches Ion
wie das von der Konzentration a reichlich in die Lösung bringt. Dadurch findet
eine Verschiebung des Gleichgewichts statt: die Konzentration des den beiden
Elektrolyten gemeinsamen Ions a ist jetzt groß; c kann nur wenig zunehmen,
da es schon fast die Gesamtmasse des Elektrolyten ausmacht; K ist konstant.
Also kann die Zunahme von a nur durch eine Verkleinerung von b ausgeglichen
werden, wobei selbstverständlich c ein wenig wächst und o ein wenig abnimmt.
Eine Abnahme von b besagt aber, daß die Ionisation des schwachen Elektro
lyten zurückgeht.
Umsetzungsgleicliungen : Die elektrolytische Dissoziationslehre hat zu
einer neuen Schreibweise der chemischen Umsetzungen geführt, die den wirk
lichen Verhältnissen der Lösung besser Rechnung trägt als die bisher von uns
benutzte Schreibweise, welche die bei einem Einzelversuche angewandten Aus
gangsstoffe und die entstehenden Endstoffe in Formeln zu einer Gleichung zu
sammenfaßte. Die Umsetzung zwischen Chlorwasserstoff und Silbernitrat zu
Silberchlorid und Salpetersäure haben wir bisher folgendermaßen formuliert:
1. HCl + AgN0 3 = AgCl + HNO s