Full text: Lehrbuch der malerischen Perspektive mit Einschluß der Schattenkonstruktionen

§ 52. Verschiedener Sonnenstand in Beziehung zur Bildebene. 311 
Wir bezeichnen den Punkt £ als „Sonnenpunkt“, den 
Punkt 1 als „Sonnenfußpunkt“ und denken uns im folgenden 
beide Punkte gegeben. 
Ist nun a A das Bild einer auf der Bodenebene aufstehenden 
vertikalen Linie (Fig. 415), so kann der Bodenschatten dieser Linie leicht 
konstruiert werden. Nach Satz 3 im vori 
gen Paragraphen muß der Schatten parallel 
zu der Grundrißprojektion der Lichtrich 
tung sein, muß somit im Bilde nach dem 
Punkt 1 fliehen. Man zieht daher 1 a. Um 
dann den Schatten des Endpunktes A zu 
finden, hat man durch A eine Parallele 
zur Lichtrichtung zu ziehen. Diese muß 
im Bilde nach £ fliehen. Zieht man also 
Si, welche die Verlängerung von U in a 
schneidet, so ist a der Schlagschatten von A. 
In Fig. 415 sind auf dieselbe Weise 
die Schlagschatten einer ganzen Reihe von 
vertikalen Linien gezeichnet. Sie fallen alle 
nach vorn und verlaufen so, daß sie sämt 
lich von dem Punkt 1 ausstrahlen. 
Wir haben also hier genau dasselbe Verhalten und dieselbe Kon 
struktion wie bei Kerzenbeleuchtung (vgl. § 45, Satz 3, S. 277 und § 46, 
1. Aufg., S. 278). 
Dies erklärt sich einfach. Der Fluchtpunkt £ ist das Bild des un 
endlich fernen Punktes, in dem die parallelen Lichtstrahlen Zusammen 
treffen, bezw. von dem sie ausgehen. Er stellt also das Bild des unendlich 
fernen Lichtpunktes oder des Mittelpunktes der Sonnenscheibe dar 
(vgl. § 50, S. 305). — Der Lichtfußpunkt liegt auf der Bodenebene in un 
endlicher Entfernung, sein Bild muß daher auf der Horizontlinie liegen, 
welche ja die Bilder aller unendlich fernen Punkte der Bodenebene ent 
hält. Andererseits muß der Lichtfußpunkt auf der Vertikalen durch den 
Lichtpunkt liegen. Man erkennt somit, daß der Punkt 1 nichts anderes 
als das Bild des Lichtfußpunktes vorstellt. Und zwar — da sich in die 
Horizontlinie die unendlich fernen Punkte nicht nur der Bodenebene, 
sondern aller horizontalen Ebenen abbilden — kann 1 als das Bild des 
Lichtfußpunktes aller horizontalen Ebenen angesehen werden. 
Mit Rücksicht auf diese Bedeutung der Fluchtpunkte £ und 1 sind 
auch die Bezeichnungen „Sonnenpunkt“ und „Sonnenfußpunkt“ 
gewählt. 
Die Sache liegt demnach so: In der räumlichen Wirklichkeit liegen 
Lichtpunkt und Lichtfußpunkt im Unendlichen. Daher rührt es, daß 
in der räumlichen Wirklichkeit die Sonnenschatten von vertikalen Linien 
ein etwas anderes Verhalten zeigen als die Kerzenschatten; (die ersteren 
sind parallel, die letzteren gehen von einem Punkt aus.) Im Bilde aber 
erscheinen Lichtpunkt und Lichtfußpunkt auch bei Sonnenbeleuchtung 
als endliche Punkte, und so kommt es, daß in der bildlichen
	        
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