Vogelperspective.
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sehen können, immer aber würden
die am Rande belegenen Gegenstände
in einander geschoben erscheinen. Sie
würden nur ihre Silhouette, nicht ihren
Grundrifs erkennen lassen, weil sie
von unseren Sehstrahlen nicht senk
recht, sondern schräg getroffen werden.
Nur wenn wir von sehr grofser
Höhe, etwa vom Monde herab, auf
die Erde blicken könnten, würden
sämmtliche Sehstrahlen nahezu parallel
mit einander den Erdboden treffen.
Eine so aufgenommene Karte würde
den richtigen Grundrifs zeigen, wenn
die Erde eine flache Tafel wäre, oder
wenn wir unsere Betrachtung auf ein
Theilstück derselben von wenigen
Graden Ausdehnung beschränkten,
dessen geringe Wölbung so wenig in
Betracht käme, dafs es als flache Tafel
gelten könnte. Wir werden diesen Fall
später bei Besprechung der Gradnetze
weiter verfolgen.
Für jetzt haben wir als Ergebnifs
unserer Luftballonbetrachtungen die
Ueberzeugung gewonnen, dafs durch
naturgetreue Abbildung von einem
hohen Standpunkt aus zwar ein land
kartenartiges Bild, aber nicht eine in
allen Theilen richtige Landkarte her
gestellt werden kann. Dessenungeachtet
haben wir diese Methode zum Aus
gangspunkte gewählt, weil sie als die
natürlichste erscheint, auf welche die
Menschen zuerst verfallen mufsten. Eine
der ältesten auf uns gekommenen
Karten, die sogenannte Tabula itine-
raria Peutingeriana, eine aus dem
fünften Jahrhundert n. Chr. stammende
Strafsenkarte des römischen Reichs, von
welcher sich zwei später bearbeitete Aus
gaben im Reichs-Postmuseum befinden,
hat ihre merkwürdige Darstellungsweise
— die enge, bandwurmartige Anein
anderschiebung der Flüsse und Strafsen
— vielleicht dem naiven Bestreben
des Zeichners zu verdanken, die Gegen
stände so abzubilden, wie sie sich yon
einem hohen Standpunkte aus dem
Auge zeigen, umsomehr, als gerade
diese Methode für den praktischen
Gebrauch und für die damalige Auf
bewahrungsweise — das Aufwickeln
der Zeichnungen und Schriften auf
Stäbe — sehr wohl geeignet erscheinen
mufste.
Auf den Landkarten des vorigen
Jahrhunderts zeigt sich zwar das Be
streben, Länder und Flüsse im richti
gen Grundrifs anzugeben, jedoch er
scheinen Städte, Thürme, Windmühlen
u. s. w. noch in völligem Schattenrifs,
die Gebirgszüge gleichen einseitig be
schienenen Hügeln u. s. w.
Auch in neuerer Zeit ist die Methode
der Vogelperspective noch gepflegt
worden, zwar weniger zu eigentlicher
Landkartendarstellung, als zu maleri
schen landschaftlichen Abbildungen.
Ein solches Werk, in mühsamster
Weise ausgeführt, ist »Delleskamps
malerisches Relief des klassischen Bo
dens der Schweiz, Frankurt M. 1830«
(in der Bibliothek des Reichs-Postamts
befindlich). Hier sind auf 9 Blättern
die Gegenden um und zwischen
Züricher und Vierwaldstätter See bis
Meiringen wiedergegeben, wie man sie,
im Luftballon darüber hinfahrend, er
blicken würde. Die äufserst anschau
liche Darstellung, eine Verschmelzung
von Landkarte und Panorama, ge
währt nicht allein demjenigen, der
jene Gegenden bereits besucht hat,
durch ihre malerische Plastik den
Genul's angenehmer Rückerinnerung,
sondern ist auch für die Reise wohl
verwendbar, obgleich die Karten die
Anlegung eines einheitlichen Mafsstabes
nicht gestatten und mit allen solcher
Darstellung eigenen Mängeln behaftet
sind. Namentlich giebt das Bestreben
des Zeichners, auch die steilen Berg
wände mit den hinauf klimmenden
Wegen und den herabstürzenden
Bächen zur vollen Anschauung zu
bringen, den Bergabhängen eine über
triebene Breite, und da die Gebirgs