Form des Sozialen, die Staat heißt, die Form des Geistigen und Künstle-
rischen, die Kultur heißt. Sein Wesen ist eingestellt auf Arbeit und Genuß;
in beidem vermag er nicht Maß zu halten. Der Bürger ist fleißig und
unternehmend, er will zu etwas kommen, er ist nicht leicht zu entmutigen.
Daneben will er Bildung, er fördert die Wissenschaft und die Kunst. Diese
im besonderen wird ihm einesteils zum Religionsersatz und andernteils zum
Genußmittel. Nach einer alles und alle umfassenden Kultur sehnt er sich
nicht, um so mehr jedoch nach einer gute Sitten oder doch den Schein
guter Sitten verbreitenden Zivilisation. Vor allem will er Verhältnisse, die
ihm Erwerb und Bereicherung ermöglichen. Er denkt in Vorstellungen
von Kapital und Zins. Geldmacht regierte das ı9. Jahrhundert unum-
schränkt und wurde zu einer Weltanschauung. Geldwirtschaft hat die
Arbeitskraft und die Fähigkeiten aller aufs höchste angespannt und ent-
wickelt, hat die Güterproduktion ins Ungemessene gesteigert, hat Blüte-
zeiten der Wirtschaft geschaffen und den Nationalwohlstand vermehrt. Die
Welt ist in einen Rausch der Arbeit und des Genusses versetzt worden;
damit ist sie von Grund auf materialisiert und in der Folge demoralisiert
worden. Mehr und mehr wurde die Mitte, wo die Urmächte des Lebens
wohnen, leer; alles Leben spielte sich an der Peripherie ab. Das groß
Unbedingte mußte sich überall Kompromissen fügen; wo Widersprüche
drohend klafften, wurden sie mit Heuchelei zugedeckt. Aus allen diesen
Gründen war die Zeit schöpferischer Symbole nicht fähig.
Kein Wunder, daß die Baukunst alten Stils versagen mußte. Es entstand
die Großstadt mit der alten geschichtlichen Stadt im Kern, mit der aus Ge-
schäftszentren gebildeten City, mit ausgedehnter Neustadt, weit ins Landsich
erstreckenden Vororten und Villenkolonien, mit Ringstraßen an der Stelle
der alten Umwallungen, mit Ausfallstraßen, menschenvollen Proletarier-
quartieren, Industrievierteln und prahlerischen Westendgebieten; bei alle-
dem aber entstand nicht ein einziges Gebäude, in dem die Kunst naiv und
lauter zu Wort gekommen wäre. Diese Großstadt war wirtschaftlich-
technisch eine Tat, nicht aber eine charaktervolle Form. In jedem Jahr
wurden viele Kilometer neuer Straßen angelegt und bebaut, es wurde gut
für Kanalisation, Wasserleitung, Gaszufuhr und Lichtleitung gesorgt, es
wurden die Bedürfnisse der Notdurft so befriedigt, daß die Lösungen wie
ein Komfort empfunden wurden. Was die Erfahrung des Fachmanns, des
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