regte sich überall ein unmittelbar religiöses Leben, das von den Bettelorden
geschickt aufgefangen und in anderer Form in die Kirche zurückgeleitet
wurde. Besitzlosigkeit und Mildtätigkeit waren die Ordensregeln. Die Pre-
diger setzten sich das Ziel, die Menschen zu retten, zu bekehren, zu ver-
wandeln, hier durch das franziskanische Gebot der Liebe, dort durch das
dominikanische Gebot des unbedingten Glaubens. Die Folge war in jedem
Fall eine Popularisierung des Glaubens.
Die neuen Orden waren aber nicht spontan die Führer; sie wurden in
das Führeramt vielmehr vom erregten Laiengeist hineingezwungen. Der
entscheidende Vorgang war die Selbstbesinnung des städtischen Menschen.
Die deutsche Stadt erlebte, ebenso wie die italienische und französische,
ihre heroische Jugendzeit. Um 900 hatte es in Deutschland nur etwa vierzig
kleine Städte gegeben, um 1200 gab es bereits zweihundertfünfzig, und in
das 13.Jahrhundert fallen mehr als achthundert Neugründungen von Städ-
ten. Am Ende des Mittelalters zählte man etwa dreitausend Orte mit Stadt-
rechten. Jeder dritte oder vierte Deutsche war ein Städter, eine Tatsache,
deren Gewicht begriffen wird, wenn man bedenkt, wie sehr die romanische
Zeit eine Epoche landwirtschaftlicher Kultur und agrarischer Lebensform
unter aristokratisch-geistlicher Führung gewesen war. Freilich waren die
Städte verhältnismäßig klein und hatten noch einen ländlichen Charakter.
Achttausend oder zehntausend Einwohner waren schon viel. Das Entschei-
dende war das Stadtrecht, das wichtigen Städten verliehen wurde, und der
Umstand, daß jede Stadt eine geschlossene Wirtschaft bildete, mit Selbst-
verwaltung und Selbstversorgung. Entscheidend war auch der Beginn eines
lebhaften Handels von weit her und einer regen Gewerbetätigkeit. Geld-
wirtschaft war die Folge. Und daraus wieder folgte die Bildung größerer
Vermögen, der Bankbetrieb und eine Wirtschaftsform, die als Frühkapita-
lismus bezeichnet werden kann. Diese Umstellung bedeutete eine tief-
greifende Revolution aller Verhältnisse, aller Lebensformen und Welt-
anschauungen, eine Revolution, deren Schmerzenskind die soziale Frage
wurde. Jede Stadt erstrebte Autonomie. Die Kaiser förderten, wie gesagt,
dieses Bestreben um der beträchtlichen festen Einnahmen willen, die ihnen
zuflossen. Als Gegengaben wurden Rechte verliehen: Das Recht, die Stadt
zu befestigen, das Marktrecht, das Zoll- und Münzrecht und selbständige
Gerichtsbarkeit. Daraus erwuchs dann ein eignes Selbstbewußtsein, das