462 Sonne (Protuberanzen).
Sonnenfinsternis beobachten lernte. Schon
1868 hatte Fearnley in Christiania
während einer nur ringförmigen Finster
nis Protuberanzen bemerkt, und eine
gleiche Wahrnehmung hat auch der öster-
reichischeLinienschiffsfähurichRziha wäh
rend der ringförmigen Finsternis 6. März
1867 in der Nähe von Ragusa gemacht.
Die wichtigste Entdeckung aber wurde wäh
rend der großen Sonnenfinsternis vom
18. Aug. 1868 gemacht, bei welcher sich
die Zone derTotalität von Abessinien durch
das südliche Arabien, Vorder- und Hinter-
indien, Borneo und Celebes nach denNeuen
Hebriden erstreckte. Zur Beobachtung
dieser Finsternis wurden von England,
Frankreich, Österreich und dem Norddeut
schen Bund Expeditionen ausgesendet, und
diesmal kam ein Hilfsmittel in Anwen
dung, das man früher nicht benutzt hatte,
das Spektroskop. Bei dieser Finsternis
zeigte sich nun an: Ostrand eine große Pro
tuberanz, deren scheinbare Höhe 3' oder
Vio des Sonnendurchmessers betrug; sie
hatte also eine wirkliche Höhe von 130,000
km, etwa 2 /s des Abstands zwischen Erde
und Mond. Als nun Rayet, Janssen,
T e n n a n t u. a. den Spalt ihres Spektro
skops auf diese Protuberanz richteten, er
blickten sie eine Anzahl hell glänzender
Streifen. Die Protuberanz konnte also
nicht ein durch die S. beleuchteter Körper-
sein, denn dieser hätte, wie die Photosphäre,
ein kontinuierliches, von dunkeln Absorp-
tionslinien (Fraunhofersche Linien) durch
zogenes Spektrum geben müssen ; sie mußte
vielmehr ein glühendes Gas sein, und
zwar ergab sich aus dem Auftreten einer
roten und einer blauen, dem glühenden
Wasserstoff angehörigenLinie, die sich an der
Stelle der Fraunhoferschen Linien 0 und §
des Sonnenspektrums befinden, daß die
Hauptmasse der Protuberanzen
aus glühend em Was ferst off besteht.
Der lebhafte Glanz der Protuberanz
linien brachte nun Janssen auch auf
den Gedanken, daß es möglich sei, diese
Gebilde auch zu andrer Zeit als während
einer Sonnenfinsternis zu beobachten.
Da fick unmittelbar nach der Finsternis
der Himmel bedeckte, so konnte Janssen
erst am andern Morgen einen Versuch zur
Prüfung dieses Gedankens machen. Als
aber am andern Morgen die S. sich über
den Horizont erhoben hatte, richtete er
den Spalt seines Spektroskops auf die
jenigen Stellen der Sonnenscheibe, an de
nen er tags vorher leuchtende Protube
ranzen beobachtet hatte. Da der Spalt
teilweise auf die Sonnenscheibe, teilweise
auf deren Umgebung gerichtet war, so er
hielt I a n s s e n zwei Spektren, das der
Sonnenscheibe und das der Protuberanzen
region. Um von dem lebhafteir Glanz des
erstern nicht gestört zu werden, wurden
die gelben, grünen und blauen Partien
des Sonnenspektrums als die hellsten ab
geblendet. Seine Hauptaufmerksamkeit
richtete Janssen aus die Linie 0, die im
Sonnenspektrum dunkel, im Protuberan-
zenspektrum aber hell (rot) erscheinen
mußte. Nach einiger Zeit gewahrte er
denn auch plötzlich eine zarte, 1 — 2 Mi
nuten hohe, glänzend rote Linie, welche ge
nau die Verlängerung der dunkeln Linie 0
des Sonnenspektrums bildete, und als er
dann den Spalt des Spektroskops weiter
rücken ließ, so blieb diese Linie, aber sie
veränderte ihre Länge und ihren Glanz
und ließ dadurch große Verschiedenheiten
in der Höhe und Lichtintensität der ein
zelnen Stellen der Protuberanz erkennen.
Am Nachmittag schon ließen sich große
Veränderungen in den Protuberanzen
wahrnehmen; die hellen Linien (6 und F)
erschienen zum Teil in einzelne Stücke
zerrissen, eine Andeutung isolierter Wol
ken, die sich seit Vormittag gebildet hatten.
Diese Beobachtungen wurden von Janssen
bis 4. Sept. fortgesetzt. Die von ihm
in Anwendung gebrachte Methode bestand
darin, daß er das Fernrohr mit dem Spek
troskop in eine feste Stellung brachte, so
daß infolge der Rotation des Himmels
nach und nach alle Teile der zu untersu
chenden Region des Sonnenrands vor dem
Spalt des Spektroskops vorbeigehen. Für
jeden Augenblick wird dann die Länge und
Lage der sichtbarenProtuberanzenlinieu ge
messen, und mit Berücksichtigung der Zeit,
die zwischen den einzelnen Beobachtungen
verfließt, sowie der täglichen Bewegung der
S. erhält man dann die Elemente zur'gra-
phischcn Darstellung der Protuberanzen.